Article23. März 2024 Cineman Redaktion
Mythos oder Wirklichkeit? 6 Fakten zur Sky-Show-Serie «A Friend of the Family»
Oft verdrängt, aber leider wahr: Bei vielen Gewaltverbrechen stehen sich Opfer und Täter:innen nahe – wie auch die Miniserie «A Friend of the Family» beweist. Erzählt wird darin auf fiktionalisierte Weise die unglaubliche Geschichte Jan Brobergs, die Mitte der 70er-Jahre gleich zwei Mal von Robert Berchtold, einem engen Vertrauten ihrer Familie, entführt und missbraucht wurde. Wir klopfen einige Schilderungen auf ihren Wahrheitsgehalt ab.
In der Mormonengemeinde von Pocatello, Idaho, lernen sich Anfang der 1970er-Jahre die sehr gläubigen Brobergs und die neu hinzugezogenen Berchtolds kennen. Die in einer beschaulichen Vorstadtsiedlung lebenden Familien haben mehrere Kinder und verstehen sich auf Anhieb blendend. Besonders liebevoll kümmert sich Robert Berchtold (Jake Lacey), nur «B» genannt, um Jan (Hendrix Yancey), eine der drei Töchter von Robert “Bob” Broberg (Colin Hanks) und seiner Ehefrau Mary Ann (Anna Paquin). Im Herbst 1974 geschieht das Undenkbare: B gibt vor, mit der 12-Jährigen reiten zu gehen, kehrt jedoch nicht wie vereinbart zurück. Erst mehrere Tage später laufen FBI-Ermittlungen an. Der Beamte Peter Welsh (Austin Stowell) befürchtet das Schlimmste und behält Recht. B hat Jen nach Mexiko entführt und ihr eine bizarre Geschichte aufgetischt, um sich ihre Loyalität zu sichern.
Hinweis: Die folgenden Ausführungen verraten einige Entwicklungen des Falls.
1. Zwischen B und Mary Ann knistert es
Schon die erste Episode von «A Friend of the Family» zeigt, dass B Mary Ann Komplimente macht, ihr näher kommt, als es unter Freunden üblich ist. In einer Rückblende in der dritten Folge tanzen die beiden eng umschlungen bei einem Gemeindefest, und B gesteht seiner Nachbarin, dass er sie gerne früher getroffen hätte. Mary Ann scheint nicht abgeneigt, freut sich über seine schmeichelnden Worte und wirkt in ihrer Ehe mit Bob nicht immer glücklich.
Der 2017 veröffentlichte Dokumentarfilm «Abducted in Plain Sight», der den «Broberg»-Fall seziert und 2019, nach seiner Veröffentlichung bei Netflix, hohe Wellen schlug, bestätigt eine rund achtmonatige Affäre zwischen B und Jans Mutter. Allerdings begann diese wohl erst im Frühling 1975, als das Mädchen bereits von seinem ersten Verschwinden in den Schoss der Familie zurückgekehrt war – eine der vielen bizarren Wendungen dieser wahrlich ungeheuerlichen Geschichte. In späteren Episoden dürfte die aussereheliche Beziehung noch eine Rolle spielen. Skye Borgman, Regisseurin des Dokumentarfilms und damit Kennerin vieler Details, berichtet in einem Interview mit dem Onlineportal Vulture aber auch, dass es Flirtereien zwischen B und Mary Ann schon vor der ersten Entführung gegeben habe.
2. Auch B und Bob hatten eine sexuelle Begegnung
Nachdem B Jan auf eine Familienreise nach Seattle mitgenommen und damit Bobs Pläne und Entscheidungen pulverisiert hat, platzt Letzterem der Kragen. Für eine Zeitlang möchte er den Kontakt zu den Berchtolds drosseln, was seinen Freund zu einer Entschuldigung bewegt. Bei einem Abendessen tauschen sich die beiden Männer über ihre Kindheit aus. Und im Wagen klagt B nur wenig später über die Flaute in seinem Ehebett. Als er Bob bittet, ihm etwas Befriedigung zu verschaffen, holt dieser ihm, sichtlich beklommen, einen runter.
Die Masturbationsszene ist nicht erfunden, wenngleich die Umstände vielleicht etwas ausgeschmückt wurden. Dass er mit Berchtold intim geworden war, gestand Robert Broberg erstmals öffentlich in Skye Borgmans Dokumentarfilm von 2017. Wohl aus Scham wurde dieses Ereignis in den von Jan und Mary Ann veröffentlichten Memoiren «Stolen Innocence: The Jan Broberg Story» (2003) unterschlagen. Für den Einfluss, den der Entführer und Missbrauchstäter über die Familie ausüben konnte, war die Begegnung jedoch sehr bedeutsam. Denn nach dem ersten Kidnapping wurde sie als Druckmittel benutzt, um B vor einer Strafe zu bewahren.
3. Erst mehrere Tage nach dem Verschwinden wurde das FBI informiert
Als Jan vom vermeintlichen Reitausflug mit B nicht zur vereinbarten Zeit zurückkehrt, sind ihre Eltern natürlich besorgt. Und doch warten sie zunächst ab, informieren die Polizei nicht über das Verschwinden. Auch, weil Gail Berchtold (Lio Tipton), Bs Ehefrau, sie mehrfach um Geduld bittet. Alles würde sich sicher in Kürze aufklären. Erst mehrere Tage später wenden sich die Brobergs entschlossen an das FBI, das sofort aktiv wird und erste Spuren findet. So erzählt es «A Friend of the Family».
Für viele Zuschauer:innen des Dokumentarfilms auf Netflix war das Verhalten der Eltern unbegreiflich. Denn in der Tat zögerten Mary Ann und Bob eine ganze Weile, richtig aktiv zu werden. Im guten Glauben daran, dass ihr Freund keine bösen Absichten verfolge. Schliesslich schien er Jan wie sein eigenes Kind zu lieben. Da über Gail Berchtold nicht allzu viel bekannt ist, lässt sich ihre Rolle nicht genau bemessen. Als gesichert gilt aber, dass sie dafür plädierte, die Behörden anfangs aussen vor zu lassen. So steht es in einem Newsweek-Bericht, der wiederum den Dokumentarfilm zitiert.
4. B bindet Jan mit einer irren Alien-Geschichte an sich
Als Jan am Ende der ersten Folge gefesselt in einem Wohnwagen aufwacht, wird sie durch einen Lautsprecher von einer Stimme empfangen. Einer Stimme, die ihr kurz darauf merkwürdige Anweisungen erteilt. Sie selbst sei ein halber Alien und dazu auserwählt, einen sterbenden Planeten zu retten. Dafür müsse sie sich mit einem männlichen Begleiter zusammentun. Diesen identifiziert sie dann in B, der im Nebenraum mit einer blutenden Wunde am Kopf aus einer vermeintlichen Ohnmacht zu sich kommt. Berchtold selbst gibt an, von Ausserirdischen überfallen worden zu sein, und betont die Wichtigkeit von Jans Mission, in der es, wie wir später erfahren, auch um «baby stuff» geht. Das Mädchen soll ein Kind mit B zeugen.
Alles rund um die Entführung klingt, als hätten Drehbuchautor:innen im Vollrausch eine Sitzung abgehalten und einfach alle schrägen Einfälle durchgewunken. In der Realität spielte es sich jedoch genau so ab. Seine krude Alien-Mär nutzte der pädophile Entführer, um Jan einzuschüchtern und auf Kurs zu halten. Dass die Erzählung auch nach der ersten Verhaftung noch hielt, er weiter immense Kontrolle über das Mädchen hatte, kam nicht von ungefähr. Immerhin legen die vorhandenen Informationen eine akribische Vorbereitung nahe. Schon vor dem Kidnapping infizierte B sein späteres Opfer mit Science-Fiction-Stoffen und UFO-Berichten, legte so den Nährboden für sein perfides Spiel. Ein Umstand, der in der Serie zum Tragen kommt. In der ersten Folge äussert Jans Vater sein Missfallen darüber, welche Themen der Familienfreund an die 12-Jährige heranträgt.
5. B manipuliert Jan auch im mexikanischen Gefängnis
Nach der Verhaftung in Mexiko landen B und Jan in einem örtlichen Gefängnis in getrennten Zellen. Im Tausch für seinen Ehering, so schildert es die Miniserie, ringt der Entführer einem der Wärter ein paar gemeinsame Minuten mit seinem Opfer ab, um seine Manipulationen fortzusetzen. Vier Regeln bläut er der 12-Jährigen ein, die er, das wird an dieser Stelle erstmals angedeutet, sexuell missbraucht hat.
Dass B dem Mädchen mit Nachdruck beibrachte, nichts über ihre Mission zu verraten, da sonst einigen ihrer Familienmitgliedern schlimme Dinge widerfahren würden, entspricht sicherlich den Tatsachen. «A Friend of the Family» scheint die Methoden des Kidnappers hier allerdings stark zu verdichten. Belege, dass die besagte Szene im mexikanischen Knast stattfand, konnte die Recherche jedenfalls nicht zu Tage fördern. Wahrscheinlich spitzen die Macher:innen in diesem Punkt etwas zu, das B während der gesamten Zeit in Mexiko gebetsmühlenartig wiederholte.
6. Ahnt niemand etwas von Bs Neigungen?
In den ersten drei Folgen der Miniserie wird B als ein in seiner Gemeinde angesehener Mann dargestellt, der mit seinem Charme viele Menschen blendet. Auch wenn es Bob irgendwann missfällt, wie stark sich der Familienfreund Jan zuwendet, denken die Brobergs nach dem Verschwinden keine Sekunde lang an sexuellen Missbrauch. Das ist etwas, das in ihrer religiös geprägten Vorstadtwelt nicht zu existieren scheint. Mit dem Begriff Pädophilie wissen sie dann auch wenig anzufangen, als das FBI sie mit dieser Möglichkeit konfrontiert.
Aus den verfügbaren Informationen über den Fall geht hervor, dass Berchtold ein gewiefter Manipulator war, dem es gelang, seine Umwelt zu täuschen. Mindestens eine Person, die in den ersten drei Episoden auftaucht, wusste aber offenbar sehr wohl um die Gefahr. Joe Berchtold, der in der Miniserie von Philip Ettinger verkörpert wird, gab in «Abducted in Plain Sight» offen zu, dass er um das Interesse seines Bruders an jungen Mädchen gewusst habe. «A Friend of the Family» zeigt, wie er während der ersten Entführung von B kontaktiert wird und eher widerwillig dem FBI hilft, den Aufenthaltsort des Kidnappers und seines Opfers durch eine Anrufnachverfolgung zu ermitteln. Über die Neigungen Bs verliert Joe, zumindest in den gesichteten Folgen, kein Wort.
«A Friend of the Family» ist seit dem 22. März auf Sky Show verfügbar.
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