Critique3. November 2023 Cineman Redaktion
Netflix-Kritik: «Alles Licht, das wir nicht sehen»: Ein Elefant im Porzellanladen
Drehbuchautor Steven Knight («Peaky Blinders») und Regisseur Shawn Levy («Stanger Things») liefern einen hoch budgetierten Netflix-Vierteiler basierend auf dem mit dem Pulitzer Preis ausgezeichneten Roman von Anthony Doerr. Die Miniserie mit aufwändigen Schlachtszenen und orchestraler Filmmusik kommt zwar ambitiös wie ein Kinofilm daher, ihr fehlen aber die vielen Nuancen des Buches. In einer Folge-für-Folge Kritik legen wir die Pros und Cons der Miniserie dar.
Von Gabriela Tscharner Patao
Episode 1
Im von Nazis besetzten französischen Saint-Malo schickt die blinde Marie-Laure (Aria Mia Loberti) auch in den letzten Wochen des 2. Weltkriegs ihre Radiosendung, mit der sie nach ihrem verschollenen Vater Daniel (Mark Ruffalo) und Onkel Etienne (Hugh Laurie) sucht, in den Äther. Der deutsche Soldat Werner (Louis Hofmann), der für die Nazis feindliche Radiosignale ausfindig macht, hört Marie hingegen lieber zu, als sie dem sicheren Tod auszuliefern. Denn auf derselben Frequenz hörte er sich als Kind die Sendung eines Professors an, die ihm in dunklen Tagen Hoffnung machte.
Wie die Buchvorlage springt die Miniserie gekonnt zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her. Marie, die von der sehbehinderten Schauspielerin Aria Mia Loberti in unzähligen Grossaufnahmen eindrücklich verkörpert wird, repräsentiert in dieser vom 2. Weltkrieg erschütterten Welt die Hoffnung. Leider ist Louis Hofmanns Darstellung des “guten Nazis” weniger erfolgreich. Er kommt emotionsarm und eintönig rüber, was besonders offensichtlich wird, als ihm Felix Kammerer gegenübergestellt wird. Der Hauptdarsteller des letztjährigen Oscar-Anwärters «Im Westen nichts Neues» beweist, dass sein aussergewöhnliches Talent auch in einer Kleinstrolle nicht verborgen bleibt.
3 von 5 ★
Episode 2
Nach der Übernahme von Paris durch die Nazis fliehen Marie und ihr Vater Daniel in einer Rückblende, gejagt vom Oberstabsfeldwebel Reinhold von Rumpel (Lars Eidinger). Dieser sucht nach dem blauen Diamanten «Meer der Flammen», der von Daniel aus dem Museum, in dem er gearbeitet hat, geschmuggelt wird. Wir erfahren einiges über Werners Kindheit mit seiner Schwester Jutta (Luna Wedler) im Waisenhaus und wie er in die Hitlerjugend rekrutiert wird.
Diese Folge entlarvt einige der Schwachpunkte der Serie. Es scheint, als legten Drehbuchautor Steven Knight und Regisseur Shawn Levy weniger Wert auf die feinfühligen Details als die Action der Geschichte. Sprüche wie «Alles hat eine Stimme, man muss nur richtig hinhören» werden dem Publikum wiederholt eingetrichtert, womit sie zur Plattitüde eines Actionfilms verkommen. Auch ist der sonst grossartige Schauspieler Mark Ruffalo als Marie-Laures Vater fehlbesetzt. Seine ständige Suche nach dem passenden Akzent ist derart auffällig und störend, dass an dieser Stelle das deutsche Dialogbuch von Martin Schmitz hervorgehoben und die erstklassige Arbeit des Synchronsprechers Norman Matt gelobt werden sollte.
2.5 von 5 ★
Episode 3
Wir lernen Onkel Etiennes Vergangenheit kennen und erfahren, wie traumatisch die Erfahrungen in den Schützengräben des 1. Weltkriegs sind. Als Etienne und Werner in einem schicksalhaften Treffen aufeinanderprallen, arbeiten sie zusammen, um Marie, die via Radio dem Widerstand wichtige Informationen übermittelt, zu schützen. Wir erfahren, dass Rumpel krank ist und deshalb den heilenden Diamanten finden will.
Shawn Levy zeigt in den schwarz-weissen Schlachtszenen dieser Folge gekonntes Handwerk als Regisseur. Der Rest der Episode ist vollgestopft von schwülstigen Dialogen, die die Geschichte weniger spürbar und deshalb schlecht nachvollziehbar machen. Das Konzept eines “guten Nazis” muss hier ernsthaft hinterfragt werden, denn Werner bringt zwar nur “böse Nazis” um die Ecke, aber er unternimmt nichts gegen die Gräueltaten, die er beobachtet. Dass der französische Friedenskämpfer Etienne seinem Feind so schnell vertrauen würde, wirkt unglaubwürdig.
2 von 5 ★
Episode 4
Es kommt zum Showdown zwischen dem Nazi Oberstabsfeldwebel Rumpel, der glaubt, dass das «Meer der Flammen» bei Marie-Laure im Dachstock von Etiennes Haus versteckt ist. Verwundet von den Bomben des amerikanischen Luftangriffs erklimmt er langsam die Treppen zu ihrem Versteck. In Rückblenden erfahren wir, wie es Maries Vater ergangen ist und am Ende der Episode treffen Werner und Marie endlich aufeinander.
Beeindruckende Actionszenen des amerikanischen Luftangriffs bieten zu Beginn der vierten Episode einiges an Spannung. Das Ende der Serie unterscheidet sich jedoch derart drastisch vom Buch, dass die Fans des Romans, sollten sie denn bis zum Schluss ausgeharrt haben, enorm irritiert sein werden. Auch wenn Levy das Einverständnis Doerrs hatte, der Geschichte ein optimistisches Ende zu geben, bleibt die Frage, ob sich das Publikum das gewünscht hat.
2.5 von 5 ★
«Alles Licht, das wir nicht sehen» ist seit dem 02. November auf Netflix verfügbar.
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