Critique13. Oktober 2023 Cineman Redaktion
Netflix-Kritik: «Der Untergang des Hauses Usher»: Wenn Edgar Allan Poe auf die Opioidkrise trifft
Mike Flanagan adaptiert Edgard Allan Poe und führt uns in die Irrungen und Wirrungen eines Pharmaimperiums. Die Netflix-Serie «Der Untergang des Hauses Usher» könnte für jede Menge Albträume sorgen – auch im wachen Zustand!
von Théo Metais
Nach der 1839 erstmals veröffentlichten gleichnamigen Kurzgeschichte des Schriftstellers Edgar Alan Poe sind die gefürchteten Roderick (Bruce Greenwood) und Madeline Usher (Mary McDonnell) in der Adaption im Jahr 2023 zu den führenden Köpfen der Pharmaindustrie aufgestiegen und leiten ein wahres Imperium namens Fortunato Pharmaceutical. In einem Prozess gegen die Vereinigten Staaten, die sie einer langen Liste von Verbrechen beschuldigen, gerät das Imperium ins Wanken, während Roderick einen Erben nach dem anderen begräbt. Die Geschehnisse ereignen sich unter gelinde gesagt seltsamen Umständen und eines Abends lädt Roderick wider Erwarten den Anwalt des Klägers (Carl Lumbly) in das Haus seiner Kindheit ein. Er sagt, er wolle ihm alle seine Verbrechen gestehen. So beginnt eine mondlose Nacht und offenbart eine Reihe von Enthüllungen wie aus einer anderen Welt.
Spätestens mit «Spuk in Hill House» (2018) und «Midnight Mass» (2021) (laut Indiewire eine der besten Horrorserien des 21. Jahrhunderts) hat sich der Regisseur und Drehbuchautor Mike Flanagan als einer der spannendsten Stars des Horrors etabliert. Im Zentrum: ein einzigartiger, psychologischer Horror im Dienste gesellschaftlicher Metaphern und hypnotischer Erzählungen, die die Abhängigkeiten und die Schrecken unserer Zeit hinterfragen. Nach den Themen Trauer, Religion und Glaube fällt das Fallbeil nun auf die Pharmaindustrie. So tritt «Der Untergang des Hauses Usher» in die Fussstapfen von Laura Poitras eindringlichem «All the Beauty and the Bloodshed» (2023) über die Verantwortung des Sackler-Imperiums für die Opioidkrise in den USA.
Der Horror der Realität
Die Einbettung dieses Themas ist ein ehrgeiziges Projekt, das sich über acht Episoden (von jeweils etwa einer Stunde) erstreckt. Die treuen Anhänger von Mike Flanagan werden einige Gesichter wiedererkennen (Kate Siegel, Ruth Codd, Samantha Sloyan, T'Nia Miller, Rahul Kohli...), denn der Filmemacher liebt seine Crew. Bruce Greenwood (der 2019 bereits in «Doctor Sleep» zu sehen war) und Mary McDonnell (Flanagan-Newcomerin und u.a. 2001 im Kultfilm «Donnie Darko» zu sehen) spielen Geschwister, die ein gigantisches Pharmaimperium leiten und deren Aufstieg in einer Bar in den 80er-Jahren seinen Anfang nahm, wo ein Pakt mit einem seltsamen Wesen geschlossen wurde (verkörpert von Carla Gugino, die mit grosser schauspielerischer Bandbreite beeindruckt).
Die acht intensiven, schauerlich-poetischen, Halluzinationen hervorrufenden Episoden, sind wie ein auf kleiner Flamme köchelndes Trauma. So klassisch der Beginn auch sein mag, die episodischen Erzählungen über den Tod der Kinder der Usher-Dynastie schwanken zwischen Kitsch und Atemlosigkeit. Acht Episoden am Übergang zwischen den Welten, getragen von Titeln, die den Schauermärchen von Edgar Allan Poe entlehnt sind – «The tell-tale heart» (eine atemberaubende Episode), «The Masque of The Red Death» – werfen Licht auf dieses Pharmamonster und die individuellen Verantwortlichkeiten. Und schliesslich, um das cineastische Vergnügen, das Flanagan uns bietet, zu untermalen, ist da die mystische Präsenz von Mark Hamill (kaum zu erkennen) in der Rolle des Anwalts der Usher-Familie.
Die Struktur ist vielleicht ein wenig uneinheitlich, aber die Umsetzung besitzt eine wahnsinnige Anziehungskraft. In seinem wohl letzten Projekt für Netflix (vor seinem Wechsel zu Amazon) hat Mike Flanagan eine kreative, bitterböse und erschreckende Modernisierung der Werke von Edgar Allan Poe geschaffen.
4 von 5 ★
«Der Untergang des Hauses Usher» ist seit dem 12. Oktober bei Netflix zu sehen.
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