Critique14. Mai 2024

Netflix-Kritik: «Rentierbaby»: Eine Serie, die uns noch lange Zeit verfolgen wird

Netflix-Kritik: «Rentierbaby»: Eine Serie, die uns noch lange Zeit verfolgen wird
© Netflix

Die Serie «Rentierbaby» ist derzeit in aller Munde, doch als sie im April auf Netflix veröffentlicht wurde, ging sie ein wenig unter. Wir haben die Serie, in der es um Stalking und den schwierigen Umgang damit geht, genauer angeschaut.

von Théo Metais, übersetzt aus dem Französischen

Inspiriert von seiner One-Man-Show, die er 2019 beim Fringe Festival in Schottland aufführte, blickt der schottische Schriftsteller und Schauspieler Richard Gadd auf die Jahre zurück, in denen er von einer Stalkerin namens Martha (Jessica Gunning) verfolgt wurde und sexuellen Übergriffen von einem berühmten Drehbuchautor ausgesetzt war. «Rentierbaby» ist ein Ventil für diese tief sitzenden Schmerzen und erzählt auch und vor allem von den Folgen, die diese Begegnungen bei ihm hinterlassen haben. Das ist nichts für empfindliche Gemüter.

Die Handlung von «Rentierbaby» erinnert an andere Geschichten über Stalking wie Stephen Kings «Misery» oder den Film «The King of Comedy», hat aber einen realen Kern. Eine Texteinblendung erinnert uns gleich in der ersten Episode daran. Was folgt, ist umso beunruhigender. Donny (Richard Gadd), Barkeeper in einem Pub im Londoner Stadtteil Camden, ist ein aufstrebender Schauspieler. Eines Tages kommt eine gewisse Martha herein und setzt sich an den Tresen. Sie behauptet, eine angesehene Anwältin zu sein, kann sich aber kein Getränk leisten. Da sie von Donnys Verständnis (oder Mitleid?) für sie berührt ist, kehrt sie immer wieder zurück.

Richard Gadd und Jessica Gunning in «Rentierbaby» © Netflix

Sie nennt ihn «Rentierbaby» und hört nicht auf, sich in Donnys Privatsphäre einzumischen. Es hagelt E-Mails, SMS und sie taucht sogar unangekündigt in den Clubs auf, in denen er auftritt. Bald gerät die Situation ausser Kontrolle – und das alles wegen einer kleinen Tasse Tee auf Kosten des Hauses. Die hervorragende britische Schauspielerin Jessica Gunning verleiht der Figur Martha eine fesselnde Ambivalenz und Eloquenz, die weit entfernt von den Klischees des Genres ist. Die Figur des Stalkers, die in «Eine verhängnisvolle Affäre» (1987) klassisch inszeniert und in Magnus von Horns «Sweat» (2020) modernisiert wurde, ist hier anders angelegt. Weit entfernt von einem Schwarz-Weiss-Denken, seziert die Serie die Nuancen des menschlichen Charakters – und hinterfragt auch Donnys Verhalten.

Wie konnte Donny sich in einer so komplexen Situation verfangen und warum sprach er nicht mit den zuständigen Behörden? Wie unangenehm war die Situation wirklich? Bald kreisen die Fragen um ein Trauma, das in Episode 4 erzählt wird: Vergewaltigungen unter Drogeneinfluss in einer Episode mit einer abstossenden Sogwirkung, als Danny einige Monate zuvor unter dem Einfluss eines Drehbuchautors stand, der ihm Ruhm versprach. «Rentierbaby» lotet abgrundtiefe Traumata aus, hat aber für seinen Autoren (und sicherlich auch für sein Publikum) eine therapeutische Wirkung. Dank einer präzisen Regie, die auf Augenhöhe mit den Protagonist:innen bleibt, und eines kurzen Formats (7 Episoden mit je 30 Minuten) vermittelt «Rentierbaby» erschreckende und erschütternde (Un-)Wahrheiten. Auf der Bühne ein Erfolg, ist der Übergang zum Serienformat ein gleichzeitig befreiendes und nervenaufreibendes Wunder.

4.5 von 5 ★

«Rentierbaby» ist seit dem 11. April auf Netflix verfügbar.

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