Critique5. Mai 2022 Cineman Redaktion
Netflix-Kritik «Rumspringa – Ein Amish in Berlin»: Wohin soll’s gehen?
Familie und Zusammenhalt sind zentrale Werte der Amish-People. Moderne Techniken werden grösstenteils abgelehnt. Ein junger Amischer reist in der deutschen Netflix-Komödie «Rumspringa – Ein Amish in Berlin» in die Deutsche Hauptstadt, um sich auszuprobieren. Dort findet er seine Wurzeln, verliebt sich und er gerät in das Abenteuer seines Lebens.
Filmkritik von Christopher Diekhaus
Die Hauptfigur der deutschen Netflix-Komödie «Rumspringa – Ein Amish in Berlin» stammt aus der christlichen Glaubensgemeinschaft der Amischen, die auf den im Berner Oberland geborenen Jakob Ammann zurückgeht. Ende des 17. Jahrhunderts spaltete sich die Gruppe von den Mennoniten ab und mit Beginn des 18. Jahrhunderts siedelten ihre Mitglieder aus dem süddeutschen und schweizerischen Raum in die USA über, wo die Amischen noch heute oftmals abgeschieden von der Aussenwelt, leben.
Familie und Zusammenhalt sind zentrale Werte. Moderne Techniken werden grösstenteils abgelehnt. Die Angehörigen tragen häufig altmodisch wirkende Trachtenkleidung und sprechen oft das sogenannte Pennsylvaniadeutsch. «Rumspringa» nennen die Amischen die Zeit zwischen dem Schulende und dem eventuellen (freiwilligen) Beitritt zur Gemeinde, in der die jungen Menschen mehr Freiheiten erhalten als üblich, etwa ausgelassen feiern zu dürfen.
Worum geht es?
Im Mittelpunkt der Handlung steht der Teenager Jacob (Jonas Holdenrieder), der gleich in den ersten Minuten von seiner Familie und seiner Gemeinde in den Staaten verabschiedet wird. Die Phase der Freiheiten will er nutzen, um in Berlin nach seinen Wurzeln zu suchen und sich darüber klar zu werden, welchen Weg er einschlagen soll. Dummerweise geht schon nach der Ankunft am Flughafen sein Gepäck verloren. Kurz darauf begegnet er dem etwa gleichaltrigen Alf (Timur Bartels), der ihn nach einigen Verwicklungen widerwillig in seiner WG aufnimmt.
Schnelle Schnitte und Montagen mit optischen Spielereien oder Split-Screen-Szenen sorgen für Dynamik.
Wie ist der Stil?
«Rumspringa» hat den typischen Look vieler deutscher Komödien: Jacbos Berlin-Abenteuer ist in helle, klare, etwas zu gelackte Bilder getaucht. Künstlich-überhöht statt authentisch-bodenständig – so lässt sich der Stil am besten zusammenfassen. Schnelle Schnitte und Montagen mit optischen Spielereien oder Split-Screen-Szenen sorgen für Dynamik. Manchmal fühlt sich das Ganze aber auch bemüht cool und locker an.
Was ist gut?
Auf der Suche nach seinem Platz im Leben ist nicht nur Jacob. Auch Alf tut sich schwer damit, eine Richtung einzuschlagen und Entscheidungen zu treffen. «Rumspringa» greift damit ein Problem auf, das vielen jungen Menschen, zumindest vorübergehend, vertraut sein dürfte. Erst recht in einer zunehmend komplexeren und unsichereren Welt wie der unseren. Auf den Punkt bringt die Sorgen und Fragen Jacobs Love Interest Ina (Gizem Emre), wenn die junge Frau betont, wie schwer es sei, Beruf, Kinder und Beziehung unter einen Hut zu bringen. Der divers aufgestellte Film schneidet interessante Überlegungen an, versucht in der zweiten Hälfte, den Figuren mehr Profil zu geben, und verleiht der sich anbahnenden Romanze einen sympathisch-amüsanten Charakter.
«Rumspringa» hat den typischen Look vieler deutscher Komödien.
Was ist ärgerlich?
Ein paar lustige Gags gibt es durchaus, etwa die Idee der nachhaltigen Ohrenstäbchen. Die meiste Zeit hangelt sich «Rumspringa» jedoch an müden, erwartbaren Scherzen entlang. Der culture clash zwischen Jacobs traditioneller Lebensweise und dem modernen Grossstadtalltag wird, gerade in der ersten halben Stunde, für eher platte Missverständnisse und Slapstick-Einlagen genutzt. Über die Amischen erfahren wir zwar immer mal wieder etwas. Häufig erschöpfen sich die Informationen allerdings nur in Stichworten.
Kritische Hinweise, zum Beispiel zum starren, patriarchalen Rollenverständnis der Glaubensgemeinschaft, werden in Nebensätzen abgefrühstückt. Dazu tischen uns die Macher rund um Regisseurin und Koautorin Mira Thiel («Gut zu Vögeln») allerhand Klischees auf: angefangen bei Alfs exzentrischem Mitbewohner (Rauand Taleb) über einen Drogentrip bis hin zu völlig überkandidelt gezeichneten Personen aus der Kunstszene.
So löblich es auch sein mag, dass der Film über die Annäherung zwischen Jacob und seinem Gastgeber emotionale Töne anschlägt. Die Art und Weise, wie das Ganze über die Bühne geht, ist alles andere als erfrischend. Plötzlich aus dem Hut gezauberte Wendungen lassen die Geschichte immer beliebiger erscheinen. Ihren Entwicklungsbogen haben sich die Protagonisten am Ende nicht richtig verdient. Vielmehr wirkt er mit Gewalt zurechtgezimmert und lässt einen deshalb eher kalt.
Lohnt sich ein Blick?
«Rumspringa» hat interessante Ansätze, verflacht aber immer wieder und schafft es nicht, ehrlich zu berühren. Kein Beinbruch also, wenn man diese Coming-of-Age-Komödie bei Netflix überspringt.
2 von 5 ★
Wer aber dennoch Lust bekommen hat, sich den Film anzuschauen, findet nachfolgend den Trailer und die Verlinkung zu Netflix.
«Rumspringa – Ein Amish in Berlin» (Laufzeit: 101min) ist ab sofort auf Netflix verfügbar.
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