Critique22. April 2020 Noëlle Tschudi
Netflix-Kritik «Tyler Rake: Extraction»: Ein temporeicher Söldnerthriller mit Chris Hemsworth
Während in den Kinos wegen der Corona-Pandemie derzeit gähnende Leere herrscht, boomt nach wie vor das Geschäft der Streaming-Dienste. Mediengigant Netflix wirft nun einen adrenalingetränkten Actionthriller auf den Markt, der Thor-Darsteller Chris Hemsworth als zupackenden Rambo-Verschnitt zeigt.
Filmkritik von Christopher Diekhaus
Das Genre des Söldnerfilms beackerte Netflix erst Ende 2019 mit Michael Bays abstrusem Spektakelfest «6 Underground», in dem Ryan Reynolds eine bunt zusammengewürfelte Vigilantentruppe anführt. Auf den dort ermüdend zur Schau gestellten selbstironischen Humor verzichtet Stuntexperte Sam Hargrave in seiner ersten abendfüllenden Regiearbeit «Tyler Rake: Extraction» dankenswerterweise. Der in der Hauptrolle mit Chris Hemsworth prominent besetzte Actionstreifen steht eher in der Tradition der grimmigen Rambo-Reihe, die im letzten Jahr mit «Rambo: Last Blood» ein unrühmliches (zumindest vorläufiges) Ende fand.
Zentraler Schauplatz der Handlung ist Dhaka, die Hauptstadt Bangladeschs, wohin der Teenager Ovi Mahajan (Rudhraksh Jaiswal), der Sohn eines im Knast sitzenden indischen Drogenbarons verschleppt wird. Der abgebrannte Tyler Rake, ein Spezialist für waghalsige Befreiungsaktionen und stetig auf der Suche nach Verdienstmöglichkeiten, lässt sich engagieren, um den Jungen aus der Gewalt seines Entführers Amir Asif (Priyanshu Painyuli), seines Zeichens Erzfeind von Majahan Senior, zu retten.
Ähnlich wie in vielen Rambo-Filmen spielen die Macher in der Darstellung ihres Settings mit Klischees.
Zunächst sieht es danach aus, als könnte der schlagkräftige Söldner mit Hilfe einiger Gefährten die Zielperson sicher nach Indien zurückbringen. Doch dann durchkreuzt Saju (Randeep Hooda), die rechte Hand von Ovis Vater, die Pläne des Einsatzteams. Rake und der fassungslose Jugendliche sind plötzlich auf sich allein gestellt, während Asif Dhaka und Umgebung hermetisch abriegeln lässt.
Hargraves Debütarbeit kann – erwartungsgemäss – nicht mit einer cleveren, logisch hieb- und stichfesten Geschichte auftrumpfen. Das von Joe Russo («The First Avenger: Civil War») verfasste Drehbuch, das auf einer Graphic Novel namens „Ciudad“ (Autoren: Ande Parks, Joe und Anthony Russo, Illustratoren: Fernando León González und Eric Skillman) basiert, kommt mit einem geradlinig-übersichtlichen Plot aus und verwendet wenig Zeit darauf, seine Figuren zu vertiefen.
Prunkstück des Films ist eine fast ohne Schnitte auskommende Fluchtsequenz, bei der die Kamera jedes noch so irrwitzige Manöver durchführt.
Ansätze von Charakterzeichnung deuten sich lediglich beim Titelhelden und Saju an. Die emotionalen Bausteine sind allerdings mehr Pflichtübung als ernsthaft mitreissend. Ähnlich wie in vielen Rambo-Filmen spielen die Macher in der Darstellung ihres Settings mit Klischees. Drogenfürst Asif hat etwa Polizei und Militär in seiner Tasche und scheint der eigentliche Herrscher über die lebendige Millionenmetropole zu sein.
Überzeugen kann der temporeiche, in staubige Bilder gehüllte Söldnerthriller immer dann, wenn sich der von Chris Hemsworth kernig verkörperte Schwarzmarktsoldat ins Kampfgetümmel stürzen darf. Schon die erste grössere Konfrontation im Versteck der Entführer fällt angemessen krachend aus. Prunkstück des Films ist jedoch eine fast ohne Schnitte auskommende Fluchtsequenz, bei der die Kamera (verantwortlich: Newton Thomas Sigel) jedes noch so irrwitzige Manöver durchführt.
Eine furios choreografierte Hatz über Strassen, Dächer und Treppenlabyrinthe, die von Hargraves Erfahrung als Stuntkoordinator grosser Hollywood-Produktionen (unter anderem «Avengers: Endgame») zeugt. Die Intensität dieser elektrisierenden Verfolgungspassage erreicht «Tyler Rake: Extraction» selbst im bleihaltigen, bürgerkriegsähnlichen Finale nicht mehr, das auch ein wenig unter dem exzessiv ausgekosteten Heldenpathos leidet.
3 von 5 ★
«Tyler Rake: Extraction» ist ab dem 24. April auf Netflix verfügbar.
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