Critique29. Juni 2018

Netflix-Tipp «Calibre»: Ein verstörender Thriller in den schottischen Highlands

Netflix-Tipp «Calibre»: Ein verstörender Thriller in den schottischen Highlands
© Variety.com

Dass Netflix – trotz dem Ausschluss aus Cannes – Preise abstauben kann, zeigt zum Beispiel «Calibre»: Der schottische Thriller aus der Schmiede des Streaming-Dienstes wurde am Edinburgh International Film Festival zum besten britischen Spielfilm gekürt – und das absolut zu Recht.

Vaughn (Jack Lowden, zuletzt in «Dunkirk») steht kurz davor, Vater zu werden. Als ihn Marcus (Martin McCann) zu einem Jagdausflug im schottischen Hochland überreden will, ist dieser deshalb zuerst nicht wirklich angetan von der Idee. Weil er seinen Kindheitsfreund aber nicht hängen lassen will, finden sich die beiden schon bald in einem provinziellen Dorf irgendwo in den schottischen Highlands wieder, wo sie das Wochenende verbringen wollen.

Zur Einstimmung gehen sie am Abend vorher ordentlich feiern, machen sich mit der eingeschworenen Dorfgemeinschaft bekannt und bandeln mit zwei jungen Frauen an. Der brummende Kopf am nächsten Morgen hält sie nicht davon ab, ihre Gewehre einzupacken und in den Weiten der schottischen Wälder nach Wild Ausschau zu halten. Ein schlimmer Unfall sorgt dafür, dass die zwei jungen Männer dies schon bald bereuen – und ihre Moralvorstellungen komplett auf den Kopf stellen müssen.

Was mit einem spassigen Wochenende unter Freunden beginnt, endet als kompletter Albtraum.
Was mit einem spassigen Wochenende unter Freunden beginnt, endet als kompletter Albtraum. © IMDB

Regisseur Matt Palmer zeigt in «Calibre» in bester Thriller-Manier und auf brutale Art und Weise, wie ein Jagdausflug zum Albtraum verkommt. Brutal nicht nur aufgrund der zum Teil heftigen Szenen, sondern auch wegen der Ausganglage, die sich nach dem tragischen Unfall entfaltet. Da die meisten Szenen während der Nacht spielen, entwickelt sich eine düstere Spannung, die sich mit Fortschreiten des Films immer mehr intensiviert – auch weil alles darauf hinführt, dass man als Zuschauer trotz moralisch umstrittener Taten mit den zwei Protagonisten mitfiebert. Auch sozialkritische Anmerkungen finden im Thriller ihren Platz; so schwingen zum Beispiel aktuelle Themen wie dem Auseinanderfallen von Dorfgemeinschaften oder der ökonomischen und emotionalen Kluft zwischen Stadt und Land immer mit.

«Calibre» ist grausam, verstörend und brutal – gleichzeitig aber auch spannend, wunderschön und überraschend aussagekräftig.

«Calibre» wäre schon damit ein solid gemachter Thriller mit einer spannenden Ausgangslage und im krassen Kontrast dazu fast schon verstörend schönen Aufnahmen der schottischen Wildnis – herausragend machen ihn jedoch genau diese vielschichtigen moralischen Aspekte, wie zum Beispiel Fragen nach der Schuldzuweisung, Selbstjustiz oder wie weit man für einen Freund oder gar für die eigene Familie zu gehen bereit ist. Dank dieser emotionalen Komponente entsteht eine Sogwirkung, der man sich als Zuschauer fast nicht entziehen kann: Die beklemmend-verstörende Stimmung wird immer weitergetrieben, bis sie sich zum Schluss in einem schockierenden Ende entlädt, das nichts für schwache Nerven ist. «Calibre» ist verstörend, brutal und grausam intensiv – gleichzeitig aber auch spannend, wunderschön und – für einen Thriller – überraschend aussagekräftig.

4 von 5 ★

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