Article25. Juni 2024

Queeres Schweizer Kino: Diese 10 Filme musst du kennen

Queeres Schweizer Kino: Diese 10 Filme musst du kennen
© First Hand Films

So selbstverständlich wie heute waren queere Themen im Schweizer Filmschaffen nicht immer – erst Ende der 80er wurde das Thema in den Kinos präsenter. Zu den ersten Schweizer LGBTQIA+-Filmen gehören «Anne Trister» (1986) und «De Fögi isch en Souhund» (1998). Anlässlich des Pride Month begeben wir uns auf Spurensuche und stellen dir 10 queere Schweizer Filme vor, die du nicht verpassen solltest.

von Irene Genhart

1. «Der Kreis» (2014)

Darum geht’s: 1956 lernen sich der Lehrer Ernst Ostertag und der Varieté-Künstler Röbi Rapp im Dunstkreis der Zürcher Schwulenorganisation «Der Kreis» kennen. Während Ostertag sich für die Anerkennung der Homosexualität engagiert und dabei um seine Anstellung als Lehrer bangt, kämpft Rapp für ihre Liebe.

Sehenswert weil: Stefan Haupts «Der Kreis» vereint Fiktion und Realität. Er verdankt seinen Titel der Zeitschrift einer Untergrundorganisation, die von 1943-1967 europaweit für die Rechte von Homosexuellen kämpfte. Er wurde teilweise an Originalschauplätzen gedreht und einige der legendären Maskenbälle im «Theater am Neumarkt» wurden exakt nachgebildet. Ostertag und Rapp sind auch im Film zu sehen. «Der Kreis» geht ans Herz, vermittelt gleichzeitig aber auch einen guten Überblick über sozialpolitische Entwicklungen in der Schweiz.

2. «Something You Said Last Night» (2022)

Darum geht’s: Die trans Frau Ren hat ihren Job verloren und macht mit ihrer Familie Urlaub in einem Ferienresort an einem See. Man verbringt die Tage am Strand, die Hitze drückt. Ihre Schwester stürzt sich in eine Affäre. Ren, die vor einiger Zeit bereits von zuhause ausgezogen ist, versucht ihren Eltern beizubringen, dass sie eine Ausbildung zur Schriftstellerin beginnen möchte und künftig auf ihre finanzielle Unterstützung angewiesen sein wird.

Sehenswert weil: «Something You Said Last Night» ist der erste Spielfilm von Luis de Filippis, die selbst trans ist und auch das Drehbuch geschrieben hat. Der Film verortet das Leben seiner Protagonistin im Alltag einer intakten Familie, die sie so akzeptiert, wie sie ist. In der Konfrontation mit der Aussenwelt aber – vor allem der Begegnung mit männlichen Jugendlichen – lässt de Filippis immer wieder Momente der Irritation entstehen, die zeigen, welche Verunsicherung Ren bei anderen auslöst.

3. «De Fögi isch en Souhund» (1998)

Darum geht’s: Zürich, Anfang 1970er-Jahre. Der 16-jährige Beni verguckt sich in den zehn Jahre älteren Rockmusiker Fögi. Er heuert bei dessen Band als Roadie an und die beiden werden ein Paar. Beni himmelt Fögi an, doch Fögi ist das zuviel. Er geht fremd, konsumiert immer mehr Drogen, beginnt Beni zu demütigen und schickt ihn schliesslich sogar auf den Strich.

Sehenswert weil: «De Fögi isch en Souhund» ist eine der ersten offen queeren Schweizer Lovestorys. Es ist eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Martin Frank aus dem Jahr 1979. Der Roman ist berndeutsch geschrieben, Marcel Gisler aber hat – weil er für die Hauptrollen angeblich keine Schweizer Schauspieler fand – den Film in Französisch gedreht. Der Film hat bei Erscheinen für ziemlich Furore gesorgt und wurde 1999 mit dem Schweizer Filmpreis in der Kategorie Bester Spielfilm ausgezeichnet.

4. «Loving Highsmith» (2021)

Darum geht’s: Patricia Highsmith ist als Autorin komplexer und spannender Kriminalromane bekannt – und als etwas schroffe und schrullige Person, die im Alter zurückgezogen lebte. Nach ihrem Tod zum Vorschein gekommene Notiz- und Tagebücher zeugen nun vom Doppelleben, das Highsmith als lesbische Frau zeitlebens führte. Diese Aufzeichnungen bilden die Grundlage von Eva Vitijas Biopic.

Sehenswert weil: Posthume Enthüllungsgeschichten sind immer spannend. Für «Loving Highsmith» gilt dies umso mehr, weil Patricia Highsmith mit «The Price of Salt/Carol» den ersten Liebesroman um zwei Frauen schrieb, der nicht im Desaster endete, diesen ursprünglich aber nur unter einem Pseudonym veröffentlichen konnte. Eva Vitija setzt in ihrem Film Passagen aus Highsmiths Tagebücher raffiniert in Beziehung zu ihrem schriftstellerischen Werk und lässt auch einige ihrer Freund:innen und Familienmitglieder zu Wort kommen. Entstanden ist das packende Biopic einer der schillerndsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts.

5. «La parada (notre histoire)» (2002)

Darum geht’s: 2001 beschliessen sechs Frauen und ein Mann in Sitten, dem Hauptort des erzkatholischen Bergkantons Wallis, erstmals eine Gay-Pride durchzuführen. Das braucht viel Mut noch mehr Durchhaltewille. Zum einen lässt die Gemeinde die Veranstaltung bei der Ankündigung im Stich. Zum anderen kritisieren Stimmen aus homosexuellen Kreisen das Konzept als zu verhalten. Zu allem Überfluss verunglimpfen lokale Gegner die Veranstaltung in einem pseudo-lustigen Artikel in der lokalen Tageszeitung und katapultieren die Veranstaltung in die Schlagzeilen der Schweizer Medienwelt.

Sehenswert weil: Der Westschweizer Lionel Baier verfolgt in seinem Dokumentarfilm die Vorbereitungen zum Event. Er beschreibt darin nicht nur Bangen und Rückschläge, sondern hält auch die Euphorie fest, die den 7. Juli 2001 zum geschichtsträchtigen Tag werden lassen. Indirekt zeichnet sein Film auch die Gräben nach, welche zwischen den eher aufgeschlossenen städtischen Ballungsräumen und den eher konservativen ländlichen Regionen der Schweiz klaffen. Sehenswert ist auch Baiers queeres Coming-of-Age-Drama «Dummer Junge» von 2004.

6. «De Noche Los Gatos Son Pardos» (2022)

Darum geht’s: Ein bunt gemischtes Schweizer Filmteam arbeitet in der französischen Provinz an einem queeren Erotikfilm. Als der Regisseur eines Abends verschwindet, ruft man die Polizei. Während diese ermittelt, gehen die Dreharbeiten weiter. Die Story des Films wird zusehends abstrus. Der um seinen Geliebten trauernde Kameramann findet sich irgendwann unverhofft in Mexiko bei den «Muxhes» wieder, die dem dritten Geschlecht angehören.

Sehenswert weil: Valentin Merz‘ 2022 entstandener Debütfilm ist eine verspielte Abhandlung über Sex, Liebe, den Tod und die Kunst des Filmemachens. Merz‘ Herangehensweise ist experimentell: Die Darstellenden tragen im Film ihre eigenen Namen, die lose vorgegebene Story wurde während des Drehs gemeinsam entwickelt. «De Noche Los Gatos Son Pardos» sprengt als wilder Mix aus Krimi, Erotikfilm, Komödie und Lovestory gewohnte Sehweisen.

7. «Sous La Peau» (2019)

Darum geht’s: Der Schweizer Filmemacher Robin Harsch begleitet während zwei Jahren drei trans Jugendliche aus Genf. Er beobachtet nicht nur ihre körperlichen Veränderungen, sondern fragt auch nach ihrer psychischen und seelischen Befindlichkeit und den Auswirkungen, die die Transitionphase auf ihre Familien hat.

Sehenswert weil: Der Genfer Filmemacher Robin Harsch hat sich gefragt, wie er reagieren würde, wenn ihm sein Sohn erklären würde, dass er eigentlich ein Mädchen sei. Ausgehend von dieser Frage bat er drei Jugendliche, die er durch die Genfer Anlauf- und Auffangstation für junge LGBTQIA+-Menschen «Le Refuge» kennenlernte, sie während ihrer Transition filmisch begleiten zu dürfen. Entstanden ist ein beeindruckend feinfühliger Film, der seine drei Protagonist:innen bei ihrem Kampf mit Geschlechter- und Identitätsfragen begleitet. Er dürfte nicht nur den Regisseur, sondern auch das Publikum einige binäre Vorstellungen radikal aus dem Weg räumen lassen.

8. «Wet Sand» (2021)

Darum geht’s: In einem georgischen Dorf am Schwarzen Meer wird der alte Eliko erhängt in seinem Haus aufgefunden. Um die Beerdigung zu organisieren, reist seine Enkelin aus Tiflis an. Sie sieht sich vor Ort mit einem Netz von Lügen konfrontiert und entdeckt Eikos 22 Jahre geheim gehaltene Beziehung zu Amnon, der am Strand ein beliebtes Café betreibt.

Sehenswert weil: Elene Naveriani wurde in Tiflis geboren, hat in ihrer Heimat Malerei studiert und zog danach fürs Filmstudium nach Genf. Der Film handelt von der feindlichen Haltung, der sich Homosexuelle in Georgien ausgesetzt sehen. Naveriani verzichtet darin weitgehend auf erklärende Worte und lässt dafür umso mehr die Bilder sprechen. Naveriani bezeichnet sich selbst als nicht-binär und versucht gegen kirchliche und politische Repression von queeren Menschen anzugehen. «Wet Sand» wurde an den Solothurner Filmtagen 2022 mit dem «Prix de Soleure» als Bester Film ausgezeichnet.

9. «Beyto» (2020)

Darum geht’s: Der türkischstämmige Secondo Beyto steht am Anfang einer vielversprechenden Karriere als Schwimmer, als er sich in seinen Trainer verliebt. Er hält seine Liebe den Eltern gegenüber geheim. Doch dann entdecken Bekannte ihn und seinen Freund an der Pride. Seine Eltern geraten zunehmend unter Druck und sehen schliesslich keinen anderen Ausweg, als Beyto während den Sommerferien in der Türkei mit seiner Cousine zu verheiraten.

Sehenswert weil: Gitta Gsells Spielfilm liegt Yusuf Yeşilöz’ Roman «Hochzeitsflug» zugrunde. Der Film wurde in und um Bern gedreht. Er ist mit Burak Ates, Dimitri Stapfer und Ecem Aydin in den drei Hauptrollen stark besetzt und lotet feinfühlig aus, wo sich individuelle Lebensvorstellungen und traditionelle Konventionen in die Quere kommen. Dabei schildert Gsell glaubwürdig nicht nur die Zerrissenheit des Mannes, sondern auch die missliche Lage seiner unfreiwillig in der Schweiz gelandeten Frau.

10. «Monte Verità» (2021)

Darum geht’s: 1906 folgt die 29-jährige Hanna Leitner dem Psychiater Otto Gross aus Wien in die Tessiner Künstlerkolonie und die Naturheilanstalt Monte Verità. Hier macht sie die Bekanntschaft der Feministin Ida Hoffmann. In der Begegnung mit diversen Künstler:innen findet sie zu ihrer Berufung als Fotografin und schliesslich auch die Kraft, sich aus ihrer tyrannischen Ehe zu retten.

Sehenswert weil: Stefan Jäger lenkt in seinem historisch akkuraten Drama den Blick auf eine Gruppe von (Lebens-)künstler:innen, deren progressiven Ideen der Zeit weit voraus waren. Das gilt insbesondere für die in Monte Verità zelebrierte Nacktkörperkultur und den Begriff der persönlichen Freiheit, der sich auch aufs Ausleben der Sexualität bezieht. Viele der im Film vorkommenden Personen wie Hermann Hesse und Isadora Duncan und deren Aufenthalte in der Kolonie sind belegt. Nicht so aber die von Maresi Riegner gespielte Hanna Leitner. Sie repräsentiert eine Frau, die sich in den patriarchalischen Strukturen ihrer Zeit gefangen sieht und mutig den Ausbruch wagt.

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