Interview14. Januar 2020 Noëlle Tschudi
Regisseur Pierre Monnard im Interview zu «Platzspitzbaby»: "Meistens sind die einfachsten Geschichten am schwierigsten zu erzählen"
Mit der Krimi-Serie «Wilder» sorgt Pierre Monnard im Schweizer Fernsehen für Höchstspannung, grosse Emotionen liefert er nun im Kinofilm «Platzspitzbaby» über ein Mädchen, das bei ihrer heroinabhängigen Mutter aufwächst. Der Regisseur über den Casting-Prozess, herausfordernde Szenen und ein dunkles Kapitel der Zürcher Geschichte.
«Platzspitzbaby» basiert auf dem autobiografischen Bestseller von Michelle Halbheer. Was hat dich an diesem Stoff am meisten gereizt?
Zwei Dinge. Zunächst war da ein Stoff, der eine spannende Story über einen Teil der Schweizer Geschichte erzählt. Andererseits war es auch die Mutter-Tochter-Geschichte, die ich unglaublich stark fand.
Interessant und speziell ist, dass die Geschichte in diesem Buch aus der Sicht eines Kindes erzählt wird. So etwas hatte ich zuvor noch nie gelesen oder gesehen.
Während sich das Buch als eher wenig geordnete Sammlung von Episoden aus Michelle Halbheers Leben präsentiert, liegt in deinem Film ein klarer roter Faden vor. Wie ist dieser herausgearbeitet worden?
André Küttel hat das Drehbuch für den Film geschrieben. Als wir das Buch gelesen haben, war uns sofort bewusst, dass es sich dabei um eine unglaubliche Geschichte handelt, aus der ein wirklich schöner Film entstehen könnte.
«Platzspitzbaby» ist eine unglaubliche Geschichte.
André hat viel Zeit investiert, denn es war sehr viel Arbeit, aus all diesen Mini-Geschichten ein Drehbuch zu machen. Wir wollten eine ganz einfache Geschichte erzählen. Doch meistens sind die einfachsten Geschichten am schwierigsten zu erzählen.
Im Roman handelt es sich bei Sandrine um eine dunkelhäutige Frau, bei ihrem ehemaligen Gatten um einen hellhäutigen Mann. Im Film ist Sandrine hellhäutig und ihr Ex dunkelhäutig. Warum wurde diese Änderung vorgenommen?
Gute Frage! Wir wollten wirklich einfach einen Film über das Thema Platzspitz und diese Mutter-Tochter-Beziehung machen. Die Mutter von Michelle ist in Realität zwar schwarz, doch wir haben uns schliesslich gefragt, ob damit nicht ein Thema zu viel aufgegriffen werden würde. Zudem muss ich gestehen, dass ich diese Rolle Sarah geben wollte.
Sarah Spahle hat auch schon mit dir für «Wilder» zusammengearbeitet.
Genau! Ich hatte sie bereits im Kopf. Wir haben uns daher schliesslich dazu entschlossen, die Geschichte ein bisschen anders zu erzählen, uns aber dennoch auch von der wahren Geschichte inspirieren zu lassen.
Du greifst mit «Platzspitzbaby» ein dunkles Kapitel der Zürcher Geschichte auf, das jene, welche die Schliessung des Platzspitz miterlebt haben, sicher brennend interessiert. Auf welchem Weg möchtest du ein jüngeres Publikum erreichen?
Mit diesem Film zum Beispiel. Mir persönlich war der zweite Teil der Entwicklung des Platzspitz nicht bekannt – wie etwa die Tatsache, dass die Drogensüchtigen nach der Auflösung zu Beginn der 90er-Jahre zurück in ihre Heimat geschickt wurden, und die Geschichte des Platzspitz dann weitergegangen ist: im Zürcher Oberland, aber nicht nur dort. Das fand ich extrem faszinierend.
Dass Luna Michelle so ähnlich sieht, ist reiner Zufall.
Welche Recherchen wurden für den Film betrieben?
Wir haben extrem viel mit Michelle gesprochen, mit Psychologen, Kinderpsychologen und Leuten, die sich um Drogenabhängige kümmern. Zudem haben wir uns Filme und Dokumentarfilme angesehen. Es gibt extrem viel Material über die Geschichte des Platzpitz, viele Interviews mit Süchtigen und auch wunderbare Dokumentarfilme. Die Recherchen haben sehr viel Zeit gekostet, aber es war sehr spannend.
Ich habe mir sehr oft gedacht: "Heute wird’s spannend".
Luna Mwezi schlüpft in eine sehr herausfordernde Rolle, die sie mit Bravour meistert. Wie kann man sich das Casting in ihrem Fall vorstellen?
Beim Casting haben wir jene Szene geprobt, in der sie mit der Sozialarbeiterin spricht, und danach Improvisation gemacht. Die Casting-Direktorin Corinna Glaus und ich haben sofort erkannt, dass Luna gut reagiert und ein sehr gutes Gespür für diese Figur hat, denn sie versteht Mia.
Sie hat etwas in sich, das zu dieser Rolle passt. Zudem ist Luna extrem entspannt, hat viel Fantasie und sieht Michelle komischerweise sehr ähnlich. Das ist reiner Zufall! Alle diese Elemente zusammengefasst waren für uns wirklich ein Geschenk. Wir dachten uns: «Wow, wir haben unsere Mia gefunden».
Es gibt so viele verrückte Geschichten in der Schweiz, die in Vergessenheit geraten sind.
Der Film hält für Luna aber auch für Sarah Spale herausfordernde Szenen bereit. Welche Szenen haben sie am meisten gefordert?
Die Szene am Ende des Films, in der Sarah plötzlich ihre dunkle Seite zeigt, hat uns allen ein bisschen Angst gemacht. Wir haben uns gefragt: «Wie machen wir das jetzt?». Aber wir haben das bereits im Voraus diskutiert, und es gab ein Klima des Vertrauens am Set. Schlussendlich ist alles gut gegangen – Im Vorfeld war das aber eine Szene, die uns etwas Angst gemacht hat. Ich habe mir sehr oft gedacht: "Heute wird’s spannend".
Mit der Szene, in der Mia Rubellose aufrubbelt, hat Luna uns alle getroffen. Wir haben nicht erwartet, dass sie so weit gehen könnte, und sie hat das vielleicht auch selbst nicht erwartet. Es hat sich in diesem Moment entschieden.
Hättest du interesse daran, ein weiteres Kapitel der Schweizer Geschichte zu beleuchten – etwa in Form eines Kinofilms oder einer Serie?
Das Problem ist das folgende: Ich würde sehr gerne «ja» sagen. Aber dann würdest du mich fragen welches Kapitel. Und das will ich nicht verraten. Die Schweizer Geschichte ist extrem spannend. Es gibt so viele verrückte Geschichten in der Schweiz, die in Vergessenheit geraten sind oder von denen man meint, sie wären nicht besonders interessant. Dabei sind sie extrem interessant. Also: Ja, ja absolut! Die Schweizer Geschichte hat extrem viel zu bieten.
«Platzspitzbaby» ist ab dem 16. Januar in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.
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