Article15. November 2023 Cineman Redaktion
Sich der Vergangenheit stellen: 5 Gründe, «Deutsches Haus» zu schauen
Die fünfteilige Miniserie «Deutsches Haus» erzählt von den Auschwitz-Prozessen des Jahres 1963 und fokussiert sich dabei auf eine junge Frau namens Eva Bruhns, die als Dolmetscherin für das Gericht arbeitet. Im Prozess erfährt sie nicht nur von den grausamen Taten während des Holocaust, sondern lernt auch Unfassbares über ihre eigene Familie. Wir verraten dir 5 Gründe, warum du diese aufwühlende historische Serie nicht verpassen solltest.
Text von Peter Osteried
1. Die Minuten vergehen
Es ist eine mächtige Szene, als vor Gericht die Anklage gegen die Männer verlesen wird, die sich im Konzentrationslager Auschwitz schuldig gemacht haben. Dies ist eine gut fünfminütige Sequenz, die ohne Schnitt auskommt. Das Profil des Anklägers ist in Grossaufnahme zu sehen, während er die Anklagepunkte verliest. Gut fünf Minuten, in denen man von nüchternem Vortrag zu purem Schock kommt. Wie es diesen Mann mitnimmt, was er hier zu verlesen hat, ist spürbar. Das ist eine ausgesprochen eindringliche Sequenz, weil das, was hier verlesen wird, vor dem geistigen Auge Gestalt annimmt.
2. Die Schweigeminute
Im vierten Teil von «Deutsches Haus» begeben sich Vertreter des Gerichts nach Auschwitz, um die Örtlichkeiten selbst zu erkunden und beurteilen zu können, was von gewissen Punkten aus sichtbar war und was nicht. Sie kommen an die schwarze Mauer, an der viele erschossen wurden. Aber keiner von ihnen hat daran gedacht, einen Kranz mitzunehmen. Der Richter ruft zu einer Schweigeminute auf. Eine Minute, die das Publikum mit den Protagonisten schweigt. Ein Moment, der demütig macht im Angesicht dessen, was an diesem Ort geschehen ist. Es ist zugleich auch mutig, so zu erzählen. Weil es das Publikum zum Nachdenken zwingt.
3. Das Private
«Deutsches Haus» funktioniert so gut, weil eben nicht nur die nüchternen Fakten des Falls in den Fokus gerückt werden. Es geht auch um die Figuren. Um Eva Bruhns‘ Verlobung zu einem reichen Jüngling, der nicht möchte, dass sie arbeitet, und damit auch um ihre Emanzipation in einer Zeit, in der Ehefrauen kaum eigene Rechte hatten – was auch für Verlobte galt.
Die Serie zeigt auf, wie weit sich die Welt seit damals entwickelt hat. Es ist aber nicht nur Evas Geschichte, die packt, es ist auch die des Anklägers David Miller aus den USA, der eine besonders interessante Entwicklung durchmacht, und die von Evas Verlobten und seiner Familie. Vor allem aber ist es die Geschichte von Evas Familie, vom Schweigen, vom Verdrängen, vom Nicht-drüber-reden-wollen, vom Nichts-gewusst-haben, die fasziniert und aufwühlt.
4. Zäsur
Der Auschwitz-Prozess war eine Zäsur in der deutschen Geschichte. Bis dahin kannten den Namen des Konzentrationslagers nicht viele, danach stand es exemplarisch für alle Gräueltaten des Nazi-Regimes und seiner Helfer. «Deutsches Haus» könnte im Grunde als so etwas wie eine Fortführung des Films «Im Labyrinth des Schweigens» gesehen werden, in dem es darum ging, wie über Jahre hinweg dafür gekämpft wurde, dass diese Prozesse überhaupt stattfinden konnten. Danach konnten die, die nichts gewusst haben wollten, sich nicht mehr darauf berufen, und die Jungen, die in den Kriegsjahren oder kurz nach Kriegsende geboren wurden, sahen die Generation der Väter und Mütter, Grossväter und Grossmütter anders.
Auch das spielt die Serie aus, und zwar nicht nur in Hinblick auf die Hauptfigur. Es gibt auch die Tochter des Hauptangeklagten, die erkennen muss, dass ihr Vater nicht der Mensch ist, für den sie ihn gehalten hat. Die Miniserie schafft es sehr gut, ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie ein Bruch zwischen den Generationen zustande kam. Zugleich zeigt sie aber auch, dass diese Prozesse längst nicht von allen begrüsst wurden. Die meisten wollten vergessen, im deutschen Wirtschaftswunder aufleben und nicht daran denken, was damals passiert ist und was sie getan oder ermöglicht hatten. Das kommt hier sehr gut zum Tragen, auch und gerade in der Darstellung von Anke Engelke als Evas Mutter.
5. Die Banalität des Bösen
Zwei der Angeklagten werden exemplarisch etwas stärker hervorgehoben, darunter Wilhelm Boger, der von Heiner Lauterbach gespielt wird. Die Serie macht nicht den Fehler, zu entschuldigen, was passiert ist, und erlaubt auch nicht das Herausreden aufs Folgen von Befehlen, sondern zeigt diese Männer als Menschen.
Gerade das lässt aber auch schaudern, weil es diese Banalität des Bösen ist, die so entsetzt, ebenso wie die Erkenntnis, dass womöglich jeder so handeln könnte. Der Glaube an die Menschheit, er wird hier nicht hochgehalten, weder im Ganzen, noch von den Figuren, die allesamt ihre eigene, meist hässliche Vergangenheit besitzen. Am Ende bleibt nur die Schuld und das Unvermögen, sie abzutragen.
5 von 5 ★
«Deutsches Haus» ist ab dem 15. November auf Disney+ verfügbar.
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