Interview14. November 2024

Berufe im Film: Kinobetreiber:innen

Berufe im Film: Kinobetreiber:innen
© Julie Folly

Seit seiner Eröffnung im Jahr 1981 hat sich der Cinématographe im Casino de Montbenon, im Herzen von Lausanne, zu einem Kultkino entwickelt. Bis 2023 wurde es von der Cinémathèque suisse betrieben, doch seit 2024 lenkt ein junges, neues Team die Geschicke des Hauses und gestaltet das Programm. IMAGIQUE hatte die Gelegenheit, ihnen ein paar Fragen zu stellen.

IMAGIQUE: Euer Abenteuer im Cinématographe, einem legendären Kino in Lausanne, begann dieses Jahr, nachdem euer Team bei einer Projektausschreibung ausgewählt wurde. Wie verliefen die ersten Monate?

Gysèle Giannuzzi: Es war intensiv! Viele Stunden ehrenamtlicher Arbeit neben unseren regulären Jobs, begleitet von Zweifeln und Ängsten. Aber unsere Motivation ist noch genauso gross wie zu Beginn der Ausschreibung. Das Projekt wächst mit uns und es berührt uns, dass das Publikum uns auf diesem Weg unterstützt.

Faye Corthésy: «Intensität» ist das perfekte Wort, mit all seinen Facetten: die schönen Momente, in denen wir das Projekt gemeinsam und solidarisch aufbauen, und die Erschöpfung, die man spürt, wenn man viel Arbeit für wenig Geld leistet. Das Wunderbare ist, zu sehen, wie der Saal dank eines engagierten Teams von Freiwilligen lebendig wird, das Publikum zurückkehrt und magische Begegnungen und Momente des Austauschs erlebt und mitgestaltet.

Alice Riva: Diese ersten Monate sehe ich sehr positiv. Trotz der intensiven Arbeit habe ich das Gefühl, dass unser Einsatz dem Publikum und unseren Ideen zugutekommt. Ein Ort wie dieser lebt von Dynamik, was viel Energie erfordert, aber die positiven Rückmeldungen und die Zufriedenheit sind eine immense Motivation. Ich freue mich sehr, diese Reise fortzusetzen und mich weiter um die Filme und das Publikum zu kümmern.

Meli Boss: Es war eine Freude, dieses Projekt mit unserem grossartigen Team zu realisieren. Dank unserer vereinten Kräfte konnten wir viele unserer Träume für diesen Ort umsetzen: ihm neues Leben einhauchen, ein neues Publikum ansprechen, eine einladende Atmosphäre schaffen und ein vielfältiges Programm anbieten. Es war eine riesige Aufgabe, das Projekt auf die Beine zu stellen, und ich bin stolz, dass wir es geschafft haben.


Welche Aspekte dieser Erfahrung haben euch am meisten überrascht?

G: Die Unterstützung des Publikums und das wertvolle Engagement der Freiwilligen, ohne die das alles nicht möglich wäre.

F: Die Kraft des kollektiven Engagements: Ich habe theoretisch daran geglaubt und jetzt mit Herz und Seele.

A: Ich stimme zu – das Engagement des Teams, das zusammengekommen ist, um den Saal zum Leben zu erwecken, war beeindruckend.

M: Die Komplexität, Ideen umzusetzen. Es reicht nicht, die richtigen Absichten zu haben – man braucht auch Geduld und Mut, um die Herausforderungen zu meistern. Die Realität des Filmgeschäfts ist komplex, Leidenschaft allein genügt nicht. Es ist ein System, eingebettet in Strukturen, die viel grösser sind als wir.

Es reicht nicht, die richtigen Absichten zu haben – man braucht auch Geduld und Mut, um die Herausforderungen zu meistern. Die Realität des Filmgeschäfts ist komplex, Leidenschaft allein genügt nicht. Es ist ein System, eingebettet in Strukturen, die viel grösser sind als wir.– Meli Boss, Co-Direktor:in


© Théodora Menthonnex

Die Besucherzahlen in den Kinos sind seit einigen Jahren rückläufig. Was hat euch dazu bewegt, ein Kino zu betreiben?

Mein Wunsch ist es, Filme zu teilen und die Kinokultur zu bewahren. Kinosäle sind einzigartige Orte, die es zu schützen und zu beleben gilt.– Alice Riva, Co-Direktorin

G: Unsere grosse Liebe zum Kino, der Wunsch, dem Publikum Freude zu bereiten – und vielleicht ein rebellischer Geist.

F: Ich glaube an die Bedeutung von Kinos als Orte für Emotionen und gemeinschaftliche Erlebnisse. Auch wenn die Bedingungen herausfordernd sind, ist der Sinn eines solchen Projekts immer gegeben. Ich habe eine besondere Verbindung zu diesem Saal, den ich oft besucht habe und in dem ich während meines Studiums als Kassiererin arbeitete.

A: Mein Wunsch ist es, Filme zu teilen und die Kinokultur zu bewahren. Kinosäle sind einzigartige Orte, die es zu schützen und zu beleben gilt.

M: Es war die Magie dieses besonderen Saals mit seinen blauen Sitzen. Ich glaube fest an die Kraft des Cinématographe, Momente der Entdeckung und des Austauschs zu schaffen. Der Ort ist magisch, und ich wollte dazu beitragen, dass er weiterhin lebt.


Wie sieht euer Programmkonzept aus?

G: Unser Fokus liegt auf Filmen, die uns bewegen und die wir mit dem Publikum teilen möchten. Oft sind es engagierte Werke, die ausserhalb der konventionellen Normen eine Geschichte zu erzählen haben.

F: Unser Programm ist vielfältig und folgt dem roten Faden, den Gysèle beschreibt. Neben den Filmen bieten wir besondere Formate wie monatliche Relax-Sitzungen und Veranstaltungen, die den Saal zu einem Ort des Austauschs machen. Am 20. November starten wir mit öffentlichen Filmkursen, bei denen wechselnde Expert:innen aus verschiedenen Bereichen ihre Perspektiven einbringen. Wir freuen uns, Céline Sciamma für den ersten Kurs begrüssen zu dürfen.

Alice: Unser Programm umfasst Kinopremieren, Wiederaufführungen und Veranstaltungen und fördert die Begegnung mit Filmschaffenden, die unsere Zeit prägen. Wir wollen ein breites Publikum ansprechen und inspirieren.

Meli: Wir legen Wert auf Filme, die das Publikum zu relevanten Themen ansprechen – soziale und menschliche Fragen, Gewalt, Diskriminierung, aber auch das Feiern des Lebens. Unsere Auswahl ist vielfältig: Spielfilme, Dokumentationen und manchmal Kurzfilme. Es ist toll zu sehen, dass unser Saal ein Referenzort für Premieren und Filmstarts wird!

Unser Fokus liegt auf Filmen, die uns bewegen und die wir mit dem Publikum teilen möchten. Oft sind es engagierte Werke, die ausserhalb der konventionellen Normen eine Geschichte zu erzählen haben.– Gysèle Giannuzzi, Co-Direktor:in


Schweizer Filme nehmen in eurem Programm einen bedeutenden Platz ein. Wie schätzt ihr die Sichtbarkeit des Schweizer Films im Allgemeinen ein?

G: Leider nicht genug! Dabei hat der Schweizer Film so viel zu bieten und viel zu erzählen.

F: Ich habe den Eindruck, dass die Sichtbarkeit des Schweizer Films zunehmend wächst, besonders durch neue Generationen von Filmemacher:innen, die oft aus Kunstschulen kommen und mitreissende Werke schaffen. Es fällt uns nicht schwer, Schweizer Filme zu programmieren und zu fördern. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn die Unterstützung für die Auswertung noch ausgebaut werden könnte.

A: Die Sichtbarkeit des Schweizer Films kann und sollte noch stärker gefördert werden. Der Schweizer Film hat sich international bereits einen wichtigen Platz erarbeitet, doch er verdient auch im eigenen Land eine grössere Anerkennung.

M: Die Aufwertung des Schweizer Films sollte deutlich stärker betont werden. Wir hoffen sehr, dass es mehr Unterstützung für die Distribution geben wird und dass unsere unabhängigen Kinos noch intensiver daran beteiligt werden können. Wir wissen, wie viel Arbeit investiert wird, um das kreative Schaffen zu unterstützen. In diesem Zusammenhang bietet der Cinématographe nun einen Schneideraum für Teams an, die Filme produzieren. Es freut uns sehr, dass wir den Filmemacher:innen diesen wichtigen Arbeitsschritt in unserem Kino ermöglichen können. Einen Film im Herzen eines Kinos zu schneiden, ist für viele ein wahr gewordener Traum!


Was ist euer Lieblings-Schweizer-Film?

G: HOME von Ursula Meier (2008).

F: Es ist schwer, sich festzulegen! SCUM MANIFESTO von Carole Roussopoulos und Delphine Seyrig (1976), GESCHICHTE DER NACHT von Clemens Klopfenstein (1978), alle Filme von Elene Naveriani und UNRUEH von Cyril Schäublin (2022).

A: Für 2024: BLACKBIRD BLACKBIRD BLACKBERRY von Elene Naveriani (der unseren Saal am 20. März 2024 eröffnete) und DIE ANHÖRUNG von Lisa Gerig. Ich freue mich sehr, dass diese beiden Filme bei den Schweizer Filmpreisen ausgezeichnet wurden! AuSSerdem möchte ich LA SALAMANDRE und JONAS QUI AURA 20 ANS EN L’AN 2000 von Alain Tanner erwähnen – zwei grossartige Werke der Schweizer Filmgeschichte.

M: _DER MANN IN DER KASERNE _von Jacqueline Veuve (1994). Was für ein beeindruckender Lebensweg für diese Schweizer Filmemacherin! RIP <3


Wenn Du mehr über den Cinématographe erfahren möchtest oder Lust hast, eine Vorstellung in diesem legendären Saal zu besuchen, findest du weitere Informationen auf der Website.

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