Interview22. August 2024

DIE LETZTEN IHRER ART – Die neue Serie von Bruno Deville: bis 9. September exklusiv auf Play Suisse

DIE LETZTEN IHRER ART – Die neue Serie von Bruno Deville: bis 9. September exklusiv auf Play Suisse
© Play Suisse / Rita Productions

Die 6-teilige Serie feierte am diesjährigen Locarno Film Festival ihre Weltpremiere und ist nun exklusiv bis zum 9. September auf Play Suisse verfügbar. Im Interview mit Regisseur Bruno Deville erfährst du, was ihn zu dieser tragikomischen Geschichte inspiriert hat und wie die Dreharbeiten, die überwiegend im Freien auf 2.500 Metern Höhe stattfanden, verliefen.

Bruno Deville, wie entstand die Idee zu DIE LETZTEN IHRER ART?

Bruno Deville: Mit einem Foto, das an einem 25. Dezember aufgenommen wurde. Das Bild zeigt einen stillstehenden Skilift, eine grüne Wiese mitten im Winter. Und meine belgischen Freunde beschliessen, ihren Urlaub abzusagen. Ich glaube, das war 2017 oder 2018. Ein Weihnachten ohne Schnee und die Absurdität, Schneekanonen laufen zu lassen, um uns Menschen weiterhin zu unterhalten. Es hatte einen Hauch von LES BRONZÉS NE FONT PLUS DE SKI, wirkte gleichzeitig futuristisch und doch realistisch in Bezug auf die heutige Welt.


Beim Ansehen von DIE LETZTEN IHRER ART fällt das Gleichgewicht des Tragikomischen auf. Die reine Komödie wird von tieferen Reflexionen durchdrungen, insbesondere in der Off-Stimme.

B.D.: Ich finde, das Leben ist eine grosse Tragikomödie. Ich glaube, der Belgier in mir liebt es, diesen Aspekt einzubringen. Er war bereits in meinem Film BOUBOULE - Dickerchen präsent. Das Drama wird von komischen Elementen durchzogen. Wenn man tief in der Misere steckt, ist Lachen eine Rettung. Ich erinnere mich, dass Léo eine seiner lustigsten Szenen in einem Moment der Entmutigung geschrieben hat; als er deprimiert war. Und umgekehrt verbirgt das Lachen oft Drama oder Grausamkeit. Natürlich war dieser Ton von Anfang an gewollt. Das Serienformat bietet Raum für Variation und genug Platz, um diesen Kontrast zu schaffen. Das ist notwendig, um die Zuschauerinnen und Zuschauer über 6x45 Minuten hinweg in Atem zu halten.


Es ist eine Ensemble-Serie mit vielen Protagonistinnen und Protagonisten, die von bekannten Gesichtern der Westschweizer Comedy-Szene, aber auch von professionellen Schauspielerinnen und Schauspielern gespielt werden. Wollten Sie auch hier die Genres mischen?

B.D.: Ich lebe seit mehreren Jahren zwischen Belgien und der Schweiz und war von Anfang begeistert von 120 secondes. Ich bin auch ein grosser Fan von Thomas Wiesel, Yann Marguet, Marina Rollman und dieser Generation von Stand-up-Comedians und Kolumnistinnen und Kolumnisten aus der Romandie. Ich schätze ihren poetischen und politischen Blick auf die Welt, der auf intelligente Weise mittels Humor zum Ausdruck gebracht wird. Die Rollen haben wir daher so geschrieben, dass sie genau zu diesen Personen passen. Das Publikum kennt sie durch ihre Punchlines in Kurzformaten. Meine Absicht war es, sie in ein längeres Format zu bringen, um zu sehen, wie man sich auf andere Weise mit ihnen verbunden fühlen kann. Ich wollte, dass sie uns zum Lachen bringen, aber auch zum Schaudern oder Weinen. Es war nötig, sie aus ihrer Komfortzone zu holen. Sie mit sensiblen Schauspielerinnen und Schauspielern wie Emilie Charriot oder Yoann Blanc zusammenzubringen, ergab eine aussergewöhnlich spannende Kombination. Ich wollte, dass das Schauspiel aus der eigenen Persönlichkeit heraus entsteht, ohne dass die Darstellerinnen und Darsteller versuchen, lustig zu wirken. Ich mag diesen Ansatz der angelsächsischen Komödien. Technisch gesehen ist es eine Herausforderung, so viele Charaktere zu inszenieren, aber es ist auch ein echtes kollektives Abenteuer.

«Ich wollte, dass diese Frage jeden Charakter und seine Sorgen durchdringt: Wie kann man sich selbst ändern? Wie wird man ein Paar, eine Familie? Wie entwickelt man sich in einer Freundschaft? Muss man sich verlieren, um sich selbst zu finden?»– Regisseur Bruno Deville

Regisseur Bruno Deville
© Rita Productions / Play Suisse

Welche Hauptthemen wollten Sie ansprechen?

B.D.: DIE LETZTEN IHRER ART ist in erster Linie eine Emanzipationserzählung, deren zentrales Thema auf allen Ebenen unsere Fähigkeit zur Veränderung in Frage stellt, diese Unvermeidlichkeit des Wandels, die uns alle beschäftigt. Aus diesem Grund und weil ich es selbst erlebt habe, war mir das Motiv der Männerkreise wichtig. Die sich häufenden Therapien oder Kurse zur Persönlichkeitsentwicklung sind die tragikomischen Laboratorien dieses Wunsches nach Metamorphose. Diese von aussen betrachtet potenziell lächerlichen Kreise zeigen jedoch den Willen zur Veränderung. Angesichts des Klimawandels oder um die Welt zu verändern, muss man vielleicht bei sich selbst anfangen. Ich wollte, dass diese Frage jeden Charakter und seine Sorgen durchdringt: Wie kann man sich selbst ändern? Wie wird man ein Paar, eine Familie? Wie entwickelt man sich in einer Freundschaft? Muss man sich verlieren, um sich selbst zu finden?


Sie erwähnten die «Trostgesellschaft» – Was bedeutet das?

B.D.: In diesem isolierten Ort Excelsior können zwei Welten nicht mehr koexistieren. Die alte Welt, die von Virgile (Vincent Kucholl) verkörpert wird, steckt in einem System aus Geld und Machenschaften fest, das die natürlichen Ressourcen bis aufs Äusserste ausnutzt, um Schnee zu erzeugen oder Übernachtungen zu verkaufen. Die neue Welt, verkörpert von Victor (Vincent Veillon), sucht nach «Care»: auf der Erde wandeln, ohne sie zu schädigen, Sorge tragen, reparieren. Seine Partnerin Tiffany (Emilie Charriot) befindet sich ebenfalls in Konflikten: zwischen persönlichen Bestrebungen und Gewohnheiten in der Partnerschaft; zwischen dem Anspruch, «anders» für das Skigebiet zu handeln, und den Tücken des Greenwashings. Die «Trostgesellschaft» bedeutet, etwas Neues zu schaffen, ohne zu wissen, was oder wie, und dabei seine Privilegien nicht zu verlieren... In einem Moment, in dem alles zusammenbricht, wollten wir die Charaktere in ihre Paradoxe und Kompromisse eintauchen lassen. Auf universelle Weise wollten wir über die Menschheit sprechen, als eine Spezies, die von ihrem System, von sich selbst und ihren eigenen Schwächen bedroht wird. Für mehrere Figuren offenbart sich die wahre Arbeit an sich selbst erst in der Prüfung.


In der Serie scheint die Beziehung zum Körper und zwischen den Geschlechtern sowohl formal als auch inhaltlich gewollt zu sein.

B.D.: Es stimmt, dass ich beim Ansehen der Serie rückblickend erkenne, dass sie ziemlich körperlich ist. Eine Entblössung im weitesten Sinne. Sie beginnt übrigens mit einer Sexszene, die in zwei Minuten das Gerüst für die Beziehung der beiden Figuren legt, welche die Katalysatoren der Erzählung sind. Die Bildgestaltung von Joseph Areddy vermittelt dies durch eine sehr narrative Kamera, die sich um die Figuren und Räume dreht. Wie verkörpert und akzeptiert man im Grunde seinen Körper? Diese Frage und die Art und Weise, die Körper zu filmen, finden sich auch in meinen anderen Filmen wieder. Bei DIE LETZTEN IHRER ART wollten wir auch die Geschlechterbeziehungen in ihren Nuancen hinterfragen, ohne in Klischees zu verfallen, sondern spielerisch mit deren Umkehrung. Wir verbringen viel Zeit innerhalb der Peer-Gruppen: der Männergruppe, der «Murmeltiere», und der Frauengruppe, der «Bräute», die sich ursprünglich für einen Junggesellinnenabschied zusammenfinden. Wir wollten die Herausforderungen der heutigen Zeit darstellen, ohne sie zum Hauptthema zu machen.

«Es hat etwas Regenerierendes, in der freien Natur auf 2500 Metern Höhe ein besonders verbindendes Abenteuer zu schaffen»– Regisseur Bruno Deville

Die Serie spielt überwiegend im Freien. War das eine Herausforderung?

Die Berge sind ein Charakter für sich. Das menschliche Eingreifen in die Natur, die Ausbeutung der Landschaft und die Frage nach dem Wasser sind die ökologischen Grundthemen. Wir sind in diese Naturkulisse und ihre Paradoxe eingetaucht. Wir haben mit den Farben und der Umkehrung der Jahreszeiten gespielt, um eine dystopische Note zu setzen. Ähnlich den stillstehenden Pistenraupen oder dem Aletschgletscher, der mit von Menschen aufgestellten Planen bedeckt ist, um ihn vor seinem eigenen Schmelzen zu schützen, das wiederum durch die touristische Übernutzung beschleunigt wird. Wir wollten starke Bilder dieses Eingreifens in die Natur zeigen, ohne eine These aufzustellen, sondern immer auf die geschäftigen, verstrickten Menschen und ihre Beziehungen fokussiert bleiben. Die zeitliche Begrenzung der Dreharbeiten für eine Serie ist an sich schon eine Herausforderung. Es hat jedoch etwas Regenerierendes, in der freien Natur auf 2500 Metern Höhe ein besonders verbindendes Abenteuer zu schaffen.

(Quelle: Pressedossier Play Suisse)

Cineman hat den Regisseur Bruno Deville anlässlich der Weltpremiere am Locarno Film Festival getroffen. Das Video-Interview findest Du hier

DIE LETZTEN IHRER ART ist verfügbar auf Play Suisse

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