Interview9. Mai 2024

Interview mit dem Schweizer Regisseur Marc Forster

Interview mit dem Schweizer Regisseur Marc Forster
© IMAGIQUE

Zum Start seines Films WHITE BIRD sprachen wir mit dem Schweizer Erfolgsregisseur Marc Forster über Intuition und Bauchentscheidungen und er verriet uns wie seine Kindheit in den Schweizer Bergen seine Arbeit als Filmemacher beeinflusst. Zudem teilt er seine Gedanken zu den aktuellen gesellschaftlichen Spaltungen und dem Wert von Menschlichkeit sowie seine Ansichten zu Streamingplattformen und KI.

IMAGIQUE: Dein neuen Film WHITE BIRD basiert auf der gleichnamigen Graphic Novel von Raquel J. Palacio. Was hat Dich inspiriert, ausgerechnet dieses Buch auf die Leinwand zu bringen?

Marc Forster: Ich habe das Buch von meinen beiden Produzenten, David und Todd erhalten. Sie wollten bereits, dass ich das Buch WUNDER (ebenfalls von Raquel J. Palacio, Anm. der Redaktion) mit ihnen realisiere, was ich jedoch abgelehnt habe. Als sie mir dann im Jahr 2020, ca. sechs Wochen nach dem Lockdowon, die Graphic Novel «White Bird» zuschickten, war ich bereits sechs Wochen allein zu Hause. Die Geschichte ist mir emotional sehr eingefahren und es war mir klar, dass ich diese Geschichte auf die Leinwand bringen will. Themen wie Mobbing und Antisemitismus sind leider immer noch aktuell und haben angesichts der jüngsten Konflikte in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen. Gleichzeitig fand ich die Liebesgeschichte während der Zeit des Holocaust sehr fesselnd. Auf der einen Seite war die starke Realität, auf der anderen Seite hat die Geschichte etwas Märchen- und Fantasiehaftes. Die Gratwanderung zwischen diesen Polen zu meistern, empfand ich als spannende Herausforderung.


In WHITE BIRD geht es um Widerstand, Rettung und auch Zivilcourage und Menschlichkeit, ein Film, der an das Gute in den Menschen glaubt. Wie wichtig war es Dir, diese Themen zu beleuchten, auch grad im Hinblick auf die heutige Zeit, eine Zeit, in der die Spaltungen spürbar sind?

Ja, Zivilcourage und Widerstand und auch vor allem Menschlichkeit sind sehr wichtig. Wir müssen einen Weg finden, wie wir uns gegenseitig respektieren, um koxistieren zu können. Ich hoffe, der Film fördert diesen Diskurs, besonders bei jüngeren Menschen, die sich bisher vielleicht nicht mit diesen Themen auseinandergesetzt haben. Möglicherweise werden diese dazu inspiriert, sich damit zu befassen und darüber zu diskutieren. Deshalb fand ich diesen Film und diese Geschichte sehr stark.

«Ich finde es sehr schade, dass viele Filme nicht mehr ausschliesslich im Kino erscheinen, sondern gleichzeitig auf Streamingplattformen starten.»– Regisseur Marc Forster

Das Konsumverhalten von Filmen hat sich in den letzten Jahren drastisch verändert. Viele Filme feiern ihre Premiere nicht mehr klassisch im Kino, sondern starten parallel auf Streamingplattformen. Wie stehst Du dieser Entwicklung gegenüber?

Ich finde es sehr schade, dass viele Filme nicht mehr ausschliesslich im Kino erscheinen, sondern gleichzeitig auf Streamingplattformen starten. Ich persönlich, fände es schöner, wenn sie zuerst im Kino zu sehen wären und später auf Streamingplattformen verfügbar würden. Interessant war es zu beobachten, dass beispielweise A MAN CALLED OTTO zuerst im Kino weltweit grosse Erfolge feierte und aber auch auf Apple TV und Netflix gestreamt wurde, obwohl er bereits im Kino war. Ich glaube nicht, dass ein Film, der zuerst im Kino läuft, dann auf VoD nicht mehr gefragt ist. Früher gab es auch die DVDs, und Streaming hat diese nun ersetzt.


In Hollywood haben die Kreativen der Filmindustrie (Drehbuchautor:innen und Schauspieler:innen) im vergangenen Jahr für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt. Ein grosses Thema war auch die Angst vor KI: Schauspieler:innen befürchten, durch KI-generierte Avatare ersetzt zu werden und Drehbuchautor:innen befürchten, dass ihre Arbeit bald von der KI übernommen wird. Wie gross ist deine Angst?

Es gibt Menschen, die sehr für KI sind, und dann gibt es Menschen, die sehr dagegen sind. Ich denke, dass man dieser Entwicklung nicht mit Angst begegnen muss. Zurzeit erleben wir einen gewaltigen Hype, aber zunächst sollten wir abwarten, wie sich das Ganze entwickelt und was in den kommenden Jahren passiert. Gleichzeitig sind Midjourney und ChatGPT Tools, die sehr nützlich sein können, auch für das kreative Denken. Ich glaube, dass Menschen auch in Zukunft Kreationen schaffen werden, neben möglicherweise von KI erstellten Inhalten. Es wird nicht das eine das andere komplett ersetzen. Wir werden zu einem Punkt kommen, an dem wir uns mit der KI verbinden müssen und es die letzten Carbon-Fibre-Humans geben wird, da habe ich grössere Bedenken. Ich fürchte nicht, dass wir alle durch KI ersetzt werden, sondern ich habe eher Angst davor, wann wir Implantate eingesetzt erhalten werden.

«Auch wenn es nicht immer offensichtlich ist, gibt es auch beim mir Höhen und Tiefen.»– Regisseur Marc Forster

Du bist im Jahr 2000 nach Los Angeles gezogen und im Jahr darauf hast Du mit MONSTER’S BALL einen Riesenerfolg gelandet. Seither feierst Du einen Erfolg nach dem anderen. Wie erklärst du dir das, dass Du ausgerechnet als Schweizer Filmemacher in Hollywood so erfolgreich bist?

Auch wenn es nicht immer offensichtlich ist, gibt es auch beim mir Höhen und Tiefen (lacht). Ich denke, viel davon liegt einfach in der Disziplin. Ich habe eine grosse Liebe zum Film und eine grosse Liebe zu Menschen, aber der Erfolg hat sicher auch mit harter Arbeit und dem Engagement für verschiedene Projekte zu tun – sie vorzubereiten und zu entwickeln. Ich weiss nicht, ob es da, wie beim Kochen, ein festes Rezept gibt. Alle meine Entscheidungen treffe ich intuitiv, im Gegensatz zu KI und Algorithmen, und entgegen dem, wie man es «machen müsste». Ich entscheide aus einem Bauchgefühl und aus dem Herzen hinaus und diese Entscheidungen sind für mich einfach richtig. Viele Leute raten mir, die Algorithmen zu beachten, aber letztendlich folge ich dennoch meinem Herzen. Bei A MAN CALLED OTTO zum Beispiel waren viele überrascht, dass die Menschen wieder ins Kino gegangen sind und der Film ein Erfolg wurde. Niemand hätte gedacht, dass die Leute solch einen Film im Kino sehenn wollen. Doch ich bin überzeugt, dass gute Geschichten die Menschen berühren.

«Ich entscheide aus einem Bauchgefühl und aus dem Herzen hinaus und diese Entscheidungen sind für mich einfach richtig.»– Regisseur Marc Forster

Du bist in den Schweizer Bergen in Davos aufgewachsen. Wie ist Dein heutiger Bezug zur Schweiz? Wie beeinflusst Deine Herkunft Deine Arbeit als Filmemacher?

Ich bin in Davos aufgewachsen und hinter unserem Haus hatte es einen Wald. Als Kind habe ich dort viel gespielt und meine eigene Fantasiewelt kreiert. Ich bin oft in diese Fantasiewelt entflohen, das war so wie in meinen Filmen FINDING NEVERLAND und jetzt auch WHITE BIRD, in denen es so einen «magic realism» gibt, das hat mich bereits als Kind sehr beeinflusst und inspiriert, weil so kann ich zurückkommen in die Fantasie, in der ich mich wohler fühle als in der Realität.

Hier geht's zur Filmkritik von Cineman.

WHITE BIRD von Marc Forster - ab 8. Mai im Kino

Ist dieser Artikel lesenswert?


Kommentare 0

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung