Live aus Peepli - Irgendwo in Indien Indien 2010 – 105min.

Filmkritik

Scharfer Blick auf indische Realitäten

Walter Gasperi
Filmkritik: Walter Gasperi

Die Not droht einen indischen Bauern in den Selbstmord zu treiben. Als Medien und Politik davon erfahren, sehen sie die Chance mit diesem Schicksal einerseits Quoten in die Höhe zu treiben andererseits Wählerstimmen zu gewinnen. Anusha Rizvi macht daraus eine ebenso unterhaltsame wie bissige Satire.

Etwa 17'000 indische Bauern sollen pro Jahr Selbstmord begehen, über 180'000 waren es zwischen 1997 und 2007. Acht Millionen Bauern sollen zudem zwischen 1990 und 2001 ihre Betriebe aufgegeben haben und in die Stadt gezogen sein. Diese Fakten bilden den Hintergrund für das Spielfilmdebüt der ehemaligen indischen Journalistin Anusha Rizvi.

Die Ursachen für die Verarmung der Bauern spart Rizvi weitgehend aus. Peepli Live setzt direkt mit der drohenden Zwangsversteigerung von Nathas (Omkar Das Manikpuri) Land ein, der einen Kredit nicht zurückzahlen kann. Hilfe sucht er mit seinem Bruder Budhia (Raghubir Yadav) bei einem lokalen Politiker, der ihn aber nur zynisch auf ein staatliches Hilfsprogramm hinweist: Beim Selbstmord eines Bauern erhalten die Hinterbliebenen eine stattliche Prämie.

Von Budhia geschickt gedrängt, entschliesst sich der wortkarge Natha so zum Selbstmord, doch ein Lokalreporter bekommt Wind davon und berichtet über den armen Bauern, den seine Not in den Tod zu treiben droht. Und schon wittern andere Medien eine Story, mit der man die Quoten in die Höhe treiben kann, denn einen Selbstmord live will wohl niemand verpassen. So fallen die Journalisten ins Bauerndorf ein und auch Politiker entdecken rasch die Chance hier angesichts anstehender Wahlen mit Hilfspaketen und Reformvorschlägen beim Volk zu punkten.

Bollywood-Star Aamir Khan hat Rizvis Debüt produziert und mit mehreren Songs finden sich auch Bollywood-Elemente in diesem Film. Hochglanzbilder und Sentimentalitäten wird man aber vergeblich suchen, Rizvis Blick auf die sozialen Realitäten ist realistisch und ungemschminkt. In jeder Szene spürt man, wie genau sie die Verhältnisse kennt, von denen sie erzählt. Scharf stellt sie der Not der Bauern die Welt der Medien und Politiker gegenüber, zeigt die Zerrissenheit Indiens zwischen ländlicher Bevölkerung und boomenden Megacities.

Deprimierendes Sozialkino ist Peepli Live deswegen noch lange nicht, sondern eine in ihrer Rasanz, ihrem Wendungsreichtum sowie den markant gezeichneten Figuren höchst unterhaltsame bissige Satire, die durchaus revolutionäres Potential in sich trägt.

18.02.2024

4

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