Waste Land Brasilien, Grossbritannien 2010 – 99min.

Filmkritik

Kunst als Sozialarbeit

Filmkritik: Eduard Ulrich

Der in Sao Paulo aufgewachsene, seit vielen Jahren in New York ansässige Künstler Vik Muniz kennt keine Genre- und Klassengrenzen. Die inzwischen ebenfalls in New York lebende britische Dokumentarfilmerin Lucy Walker hat ihn über zwei Jahre bei einem aufwendigen Projekt mit den Wertstoffsammlern auf der weltgrößten Mülldeponie in Brasilien begleitet.

Es wird immer wieder versucht, Kinos mit Einrichtungen zu versehen, die mehr als nur Augen und Ohren bedienen. Zum Glück ist es noch nicht so weit, denn wir verbringen viel Zeit auf einer gigantischen Mülldeponie bei Rio de Janeiro mit dem euphemistischen Namen "Jardim Gramacho". Ebenfalls beschönigend "Catadores" heißen die ArbeiterInnen, die den Müll nach Brauchbarem durchwühlen. Der Gestank ist so stark, dass er auf dem Heimweg im öffentlichen Verkehr zum Problem werden kann. Duschen gibt es keine, denn diese Arbeit existiert offiziell gar nicht, obwohl ein komplettes System von Auftragsannahme, Lieferung, Bezahlung und eine Gewerkschaft aufgebaut wurden.

Lucy Walker zeigt, wie Muniz die Risiken abklärt, bevor er nach Rio reist und sich mit seinen MitarbeiterInnen ins Abenteuer und den Müll stürzt. Walker porträtiert nicht nur Muniz, sondern auch und vor allem die "SammlerInnen", die Muniz für seine überlebensgroßen, müllbepackten Porträtfotografien auswählte und so rund zwei Jahre lang mit Kunstarbeit beschäftigte. Während seine Leute sich fragen, ob die MülltrennerInnen nicht leiden, wenn sie am Ende des Projekts wieder auf die Müllkippe zurückkehren müssen, sieht Muniz das persönliche Entwicklungspotenzial, das diese Erfahrung allen Beteiligten eröffnet.

Überhaupt lernt man Muniz als einen Vollblutkünstler kennen, der gleichsam Müll in Gold verwandeln kann, der die Kunstgeschichte verinnerlicht hat und blitzschnell Assoziationen knüpft. Muniz hat sich vom Bildhauer zum Konzeptkünstler entwickelt, der es fertigbringt, jedem Sujet seine eigene, speziell angemessene Form zu verpassen. Sein soziales Bewusstsein und Wirken ist also keine Entschuldigung für mediokre Werke. Wenngleich man an das Innere der Persönlichkeit Muniz' nicht herankommt, was vielleicht einfach daran liegt, dass er für seine Kunst lebt, können einem die Lebensgeschichten der Porträtierten umso mehr zu Herzen gehen.

17.02.2024

4

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Kommentare

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zuckerwättli

vor 11 Jahren

Absolut sehenswert


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