Filmkritik
Ta-ta-ta-taaaa: Die etwas laute Stille Makhmalbafs
Der Iraner mit dem lautmalerisch schönen Namen Mohsen Makhmalbaf scheint sich nach seinem "Gabbeh" (1996) weiter in Richtung poetischer und vordergründig weniger politischer Formen des Filmemachens bewegen zu wollen. Es geht um die Beziehung zwischen Kunst und Leben, untersucht am Beispiel eines blinden Jungen. Der Titel "Sokhout" - auf deutsch "die Stille" - ist leider nicht Programm: Die Bilder sind wunderschön, aber auf der Tonspur setzte der Beginn einer wohlbekannten Sinfonie unserem Kritiker ganz schön zu.
Der kleine Korshid ist blind und wohnt mit seiner Mutter in einem Dorf in Tadschikistan. Wegen seines feinen Gehörs arbeitet er als Stimmer bei einem Geigenbauer. Der verliert bei seinen Kunden an Kredit, schiebt die Schuld auf seinen kleinen Saitendreher und stellt ihn auf die Strasse. Mutter und Sohn können die Miete nicht mehr bezahlen und werden rausgeschmissen. Ende des Films, Ende der Geschichte. Haben wir nicht lange geglaubt, dass gerade das Geschichtenerzählen des Orients eine neue Erlebnisweise für den Westen zu eröffnen vermag?
Aber vielleicht sollte man diesen Film nicht an seinem etwas dürftigen Inhalt messen, sondern sich auf Sehweisen besinnen, die anderen Traditionen folgen. Schauen wir also, was wir an Schönem entdecken: Der Geigenbauer hat eine kleine Tochter, Nadareh, und sie holt Korshid jeweils von der Busstation ab, um ihn zu ihrem Vater zu führen. Mit ihr beginnt im Film ein Mosaik aus zauberhaften Bildgedichten: Wie sie am Fluss kniet und mit Blütenblättern ihre Nägel schmückt, sich Kirschen an die Ohren hängt und so die Schönheit allen Sehens verkörpert. Wie sie, Korshid am Rockzipfel, über den orientalischen Markt schlendert, mit mädchenhafter Leichtigkeit, und ihren Augen alles Kaufen erlaubt. In ihr hat der Film sein Augenspiel, mit ihr entstehen die schönsten Bilder. Soviel zur Poesie des Blicks. Wäre es bei ihr geblieben, heiter und gelöst hätte man den Kinosaal verlassen. Doch der Junge ist blind, und Makhmalbaf sah sich verpflichtet, dem Film auch eine Poesie des Hörens zu geben. Hier beginnt die Katastrophe.
Aus der Biographie des Regisseurs erfahren wir, dass ihm seine Grossmutter das Musikhören als Teufelswerk verkauft hat. Nach Jahren der Entsagung und einer klanglosen Jugend kommt Makhmalbaf in den Genuss von Beethovens Fünfter, von der er überwältigt wird. Tagebuchgeflüster, schön. Aber legitimiert ihn dieses persönliche Erlebnis, uns für die ignorante Grossmutter büssen zu lassen? Nicht genug damit, dass er die Sinfonie auf ihre doch recht banalen ersten vier Töne reduziert, er lässt diese auf dem gesamten Inventar tadschikischer Haushaltgeräte scheppern, ist sich nicht zu schade, den Vermieter beethovisch an die Haustüre klopfen oder den kleinen Korshid in der Anfangsfigur der Sinfonie den "absoluten Ton" entdecken zu lassen. Hat man da noch Töne?
Welche Kinos könnten "The Silence" in ihr Programm aufnehmen? Am ehesten diejenigen, die für ihre exquisite Auswahl bekannt sind und ihre Kundschaft anspruchsvoll unterhalten wollen. Als Ausnahmefall, der ihren Ruf und die Regel bestätigt, eignet sich "The Silence" bzw. "Sokhout" phänomenal. Allerdings, das Machwerk dauert nur 76 Minuten. Man hält es aus.
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