Filmkritik
Dreistling im Kleinkinderformat
In Russland ist der unverblümte Karlsson vom Dach so etwas wie ein Nationalheld. In der neusten Zeichentrickverfilmung ist Astrid Lindgrens wohl subversivste Charakterschöpfung ins frühe Kindesalter transponiert worden und hat so an Magie für ein Publikum ab dem Lesealter eingebüsst.
Eigentlich ist Karlsson vom Dach - ein runder Mann mit Propellern auf dem Rücken - ein unsäglicher Typ: Er nützt Freunde aus, erpresst sie emotional und überschätzt sich konstant. Er ist egoistisch, gierig, leichtsinnig und unverschämt - eben so garstig wie jene Gesellschaft, die jeden Sprössling nach dem Entwachsen aus der Kinderwelt erwartet.
Doch: Astrid Lindgrens Geschichten rund um Karlsson sind neben einer Art katharsischer Lebensvorbereitung ebenso ein Lehrstück in Toleranz und Freundschaft und propagieren den Glauben ans Gute in jedem Menschen. Karlsson ist im Endeffekt Klein-Lillebrors bester, in den Augen seiner Eltern fiktiver Freund, und wenn er auch ekelhaft sein kann, so hat er doch das Herz am rechten Fleck.
In der jüngsten schwedischen Verfilmung sind die vier Karlsson-Bücher zu einer untehaltsamen 80-minütigen Untaten-Sammlung verschmolzen. Erfreulicherweise hat die charakterliche Vielschichtigkeit des Propellermanns unter dieser Reduktion nicht leiden müssen .
Irritierend ist hingegen, dass im Film Karlssons Wildheit optisch in keiner Art aufgegriffen wird. Im Look von Lindgrens Hausillustratorin Ilon Wikland (sie hat dreissig ihrer Titel bebildert) wirkt der übergewichtige Karlsson im besten Fall etwas fratzig, doch unendlich viel braver als in der Realverfilmung aus den siebziger Jahren. Und das ist schlichtweg ein Jammer, wäre ein Charakter wie Karlsson doch für eine Vorabendserie für die ganze Familie tauglich.
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