Tokyo Godfathers Japan 2003 – 92min.
Filmkritik
Weihnachtsmär à la japonais
Satoshi Kons "Tokyo Godfathers" ist nicht nur einer der am schönsten gezeichneten und coolsten Animés der letzten Jahre, sondern auch eine der witzigsten Weihnachtsgeschichten, welche die Leinwand je sah.
Zum Filmanfang Heilsarmee-Suppe und "Stille Nacht" auf Japanisch, zum Filmschluss tanzende Wolkenkratzer und eine poppige Version von Beethovens "An die Freude". Dazwischen eine actionreiche, in die höchsten Etagen der High Society und die tiefsten Keller der Unterwelt Tokyos führende Story um drei Obdachlose und ein Findelkind: Eine derart aberwitzige und zugleich Herz erwärmende Weihnachtsmär wie "Tokyo Godfathers" hat noch kaum je das Licht der Leinwand erblickt.
Die Geschichte nimmt ihren Anfang am Heiligen Abend, als das Obdachlosen-Trio Gin, Hana und Miyuki auf einer Abfallhalde mitten in Tokio ein in Windeln gewickeltes Baby findet. Aus Rücksicht auf die alternde Drag-Queen Hana, welche die einmalige Chance gekommen sieht, ihre brach liegenden Muttergefühle auszuleben, bringen sie das Kindlein nicht zur Polizei, sondern nehmen es in ihre Obhut. Nach einer Nacht, in der die drei, beschäftigt mit Trösten, Windelnwechseln und der Besorgung von Babynahrung, kein Auge zu kriegen, beschliessen sie, das Findelkind zu seinen Eltern zurückzubringen.
Quer durch die immer verschneitere Millionenstadt, in immer neue und noblere Quartiere führt die Suche. Sie wird zur zunehmend wilden Odyssee, in deren Verlauf sich das Trio in Verfolgungsjagden und Schlägereien verwickelt, auf einem Friedhof, in einem Nobelhotel, einem Sexclub und einem Krankenhaus landet, Zeuge von Überfällen, Morden und Unfällen wird. Stück für Stück tragen die drei obdachlosen Göttis die Geschichte ihres Findelkindes zusammen, sehen sich aber auch gezwungen, ihre eigenen, verlogenen Lebensgeschichten zu überdenken.
"Tokyo Godfathers" ist erzlustig und voll verblüffender Wendungen. Regisseur Satoshi Kon gilt als einer der ganz grossen japanischen Trickfilmmeister. Er hat mit "Perfect Blue" und "Millenium Actress" schon zwei mehrfach preisgekrönte Animes vorgestellt, scheint nun aber gar eine neue Aera des japanischen Zeichtentrickfilms einzuläuten. Auf einmalige Weise verquickt er virtuos eine in der Tradition der Animés stehende, wilde Abenteuerstory mit einem Herzschmerz-Melodrama, das lakonisch mit westlichen Weihnachtssymbolen verziert ist. "Tokyo Godfathers" zielt ziemlich direkt auf die CultureClash-Spalte und bedient sich nicht zuletzt bei John Fords klassischem Western "Three Godfathers" von 1948, in dem sich drei Outlaws des Babys einer sterbenden Frau annahmen.
Satoshi Kon stellt nicht nur alles in den Schatten, was bis anhin unter dem Siegel "flotte Weihnachtskomödie" durch die Filmgeschichte geisterte, sein schönst animiertes Werk verdient durchaus auch das Lob, der seit langem mit Abstand coolste Animé zu sein.
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