La mala educación Spanien 2004 – 104min.

Filmkritik

Roulette der Begierden

Filmkritik: Carole Koch

Spätestens seit "Hable con ella" zählt Pedro Almodóvar zu den klingendsten Namen des internationalen Films. "La mala educación" ist ein weiteres glorioses Kapitel in seinem szenischem Buch der Leidenschaften, eine Hommage an das Genre des Film Noir sowie das bislang persönlichste und reifste Werk des spanischen Regisseurs.

Madrid im Spanien der frühen 80er Jahre: Der Tod Francos hat den Künstlern neuen Atem eingehaucht. Die Movida ist erwacht, jene Aufbruchbewegung, die das kulturelle Leben im lange unterdrückten Land wieder aufblühen liess. Auch der homosexuelle Enrique (Fele Martínez) ist eines ihrer Kinder und als begnadeter Regisseur auf der Suche nach gutem Filmstoff. Beim Durchforsten von Zeitungen streift er unzählige Geschichten, wie etwa diejenige einer Frau, welche sich in einen Krokodilteich wirft, eines davon umarmt und sich vom ihm auffressen lässt, ohne einen einzigen Ton von sich zu geben.

Die Wahl der Story trifft schliesslich das Schicksal, welches in der Verkörperung des Schauspielers Angel (Gael García Bernal) an die Tür klopft. Dass der Besucher sich nicht zufällig als Enriques Jugendliebe Ignacio ausgibt und die Verfilmung der eigens verfassten Novelle "Der Besuch" sowie eine Rolle darin wünscht, lässt sich auch ohne Kenntnis von Dürrenmatts Werk erraten. Der physische und literarische Besuch ist vielmehr Auftakt zu einem komplexen Plot, der wie russische Holzpuppen im Kern weit mehr verbirgt, als sich auf den ersten Blick erahnen lässt.

Mit Enriques Lektüre der Novelle tauchen wir in den Film im Film sowie seine gemeinsame Kindheit mit Ignacio in einem katholischen Internat ein. Im Schatten des sexuellen Missbrauchs durch Priester Manolo (Daniel Giménez Cacho), entdecken die Knaben die erste Liebe. Das Aufflackern der Leidenschaft wird jedoch im Keim erstickt. Schwarz sind die Gewänder der Priester, die Nächte im Schlafsaal und letztlich auch die Schicksale der Protagonisten. Schwarz ist auch das Genre des Film Noir, auf welches Almodóvar sich bezieht. Die Antihelden leben ihre Leidenschaften im Dunkeln aus. Verbrechen sowie schicksalhafte Verstrickungen sind allgegenwärtig, und auch die skrupellose Femme Fatale fehlt in diesem faszinierenden Verwirrspiel nicht.

In «La mala educación» können jedoch nicht nur Parallelen zur Filmgeschichte sondern auch zur Persona Almodóvars gezogen werden: Der Regisseur blickt selbst auf eine Erziehung in einer Klosterschule zurück. Auch er war ein homosexueller Regisseur der Movida, der in den 80ern von der Ikone der schwulen Subkultur zum gern gesehenen Gast an internationalen Filmfestivals mutierte.

Wie autobiographisch der Film auch sein mag, der Spanier thematisiert in gewohnt aussergewöhnlicher Manier, wie die Erfahrungen im Klosterinternat das Fortleben aller Beteiligten beeinflussen. Und dass sich die Fesseln der Verangenheit auch im Zeitalter des Aufbruchs nicht so einfach abstreifen lassen. Weil wir es hier aber mit einem Almodóvar zu tun haben, ist "La mala educación" weder eine Abrechnung mit der katholischen Kirche noch eine Reflexion der Movida. Wie seine hoch gelobten Vorgänger umkreist der Film gekonnt weit vielschichtigere Themenkomplexe wie Opfer und Täter, Schuld und Sühne, Angst und Hoffnung, Macht und Ohnmacht. Almodóvars Begierden kennen viele Gesichter und das Roulette der Leidenschaften dreht sich in der Story unweigerlich immer weiter. Letztendlich geht es um die Frage, wer sich wann von welchem Krokodil auffressen lässt, ohne einen Laut von sich zu geben.

24.02.2021

5

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Kommentare

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movie world filip

vor 13 Jahren

s ist noch sehr akuell, das thema von diese film.. aber fehlt etwas an punch manchmal... almodovar, wie in hable con ella verliert etwas von seine starke in atamé und carne tremula... visueller aber auch langweiliger, trotzdem sehr stark


Gelöschter Nutzer

vor 15 Jahren

Mit vielen überraschenden Wendungen verwirrt uns der Regisseur Almodovar bis man fast den Faden verliert. Aber andererseits erreicht er dadurch auch eine gewisse Spannung, die trägt. Der Vorwurf: Missbrauch von Buben trifft die katholische Kirche schwer und wird heute von ihr immer noch wenn möglich totgeschwiegen. Sicherlich sind diese Jungen für den Rest ihres Lebens gebrandmarkt.
Es geht Almodovar nicht darum nachgewiesen, warum man nach solchen Jugenderlebnissen folgerichtig schwul werden muss – also vielleicht um eine persönliche Rechtfertigung - sondern er will wohl eher eine Diskussion anstoßen, die letztlich auch die Frage nach dem Sinn des Zölibats beinhaltet.Mehr anzeigen


bedita

vor 17 Jahren

Ein wirklich guter Film; vor allem das Spiel von Gael Garcia Bernal hat mich beeindruckt und auch das Ende finde ich überraschend aber glaubhaft. Doch was mir nach dem Film am stärksten in Erinnerung bleibt ist mein Schock bei der Feststellung dass Bernal, als Transvestit verkleidet, erstaunlich stark an Julia Roberts erinnert. Was sagt dass nun über unsere Pretty Woman aus?Mehr anzeigen


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