Still Walking Japan 2008 – 114min.
Filmkritik
Stilles Psychodram
Familientreffen können es in sich haben: Unsentimenal und unspektakulär, aber bedrückend präzise schildert Hirokazu Kore-Eda ein knapp eintägiges Zusammenkommen dreier beschädigter Generationen. Ein Meisterwerk für Erwachsene.
Was in Nanni Morettis "La stanza del figlio" noch frisches Trauma ist, hat die Beziehung eines japanischen Ehepaars untereinander und zu ihren Kindern eineinhalb Dekaden lang vergiftet. Der ältere Sohn ist damals ertrunken. Auf ihm ruhten alle Hoffnungen des Vaters, eines Hausarztes mit eigener Praxis. Der jüngere Sohn, eher das schwarze Schaf, und die Tochter, die auch nicht so herausgekommen ist, wie es sich die Eltern wünschten, hatten gegen die Verklärung des Verstorbenen offenbar keine Chance. Jetzt sind sie zwar ebenfalls Eltern, doch die familären Wunden hat die Zeit nicht geheilt.
Als sie ihre Eltern besuchen, läuft alles wieder im alten Gleis, weil diese Eltern nicht erkennen können, was aus ihren Kindern geworden ist. Sie sehen nicht genau hin und behandeln sie wie immer. Sohn und Tochter bringen immerhin frischen Wind ins Haus, weil ihre Partner von außerhalb der Familie stammen und sie ihre Kinder dabei haben, die noch nicht mit eingespurten Verhaltensweisen reagieren. Beide sehen zwar die Probleme ihrer Eltern, ändern können sie aber nichts.
Die extrem konventionalisierten Umgangsformen der japanischen Gesellschaft liefern den Gegendruck, der die Beziehungshochspannung unter der Oberfläche hält. Kaum, dass einmal ein Riss zu erkennen ist. Die Persönlichkeiten verformen sich wie ein Werkstück im Schraubstock, die (Stief-)Enkelkinder versuchen sich zu drücken, indem sie sich zum Spielen verziehen.
Hirokazu Kore-Eda zeigt die Ruinen, das Bild vom zerstörerischen Ereignis entsteht stückweise aus den Bemerkungen, die in den Gesprächen fallen. Wie immer wird nichts erklärt, die Genauigkeit der Inszenierung des Alltags lässt das nicht zu. Dennoch wird alles klar aus den kleinen Gesten, aus der Wortwahl. Langsam schälen sich die Diskrepanzen heraus: Innen- gegen Außensicht einer Person und in der eigentlich gemeinsamen Erinnerung. Die (Stief-)Großmutter hält sich für einen guten Menschen, hat sich aber zu einem Filou entwickelt, das eine perfide Vergeltungsstrategie verfolgt, die keinen Sinn mehr besitzt. Trotzdem ist das alles kein gefilmtes Theater, sondern lebendiges Kino. Immer wieder wird die klaustrophobische Stimmung durch überraschende Bilder wie der bekannte Blick in spiegelnde oder halbdurchlässige Flächen, Nahaufnahmen und kurze Szenen außer Haus aufgelockert.
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