Gnade Deutschland, Norwegen 2012 – 132min.
Filmkritik
Von der Polarnacht zur Mitternachtssonne
Die Macht der arktischen Winternacht: Matthias Glasner entwickelt ein Beziehungsdrama,in dem ein Paar sich durch das gemeinsame Wissen um eine schwere Schuld wieder näher kommt.
Eine zweite Chance sieht Maria (Birgit Minichmayr) in der Emigration mit ihrem Mann Niels (Jürgen Vogel) und dem etwa 12-jährigen Sohn Markus (Henry Stange) nach Nordnorwegen. Sie arbeitet in der neuen Heimat als Krankenschwester in einem Hospiz für Todkranke, er als Ingenieur in der größten europäischen Erdgasverflüssigungsanlage. Doch auch an diesem Ende der Welt hat sich das Paar nicht viel zu sagen, und auch zum Sohn gibt es keinen echten Kontakt. So hat Niels wie zuvor in Deutschland bald auch hier eine Affäre. Bewegung kommt in die Ehe, als Maria in einer Winternacht, von einem Nordlicht abgelenkt, ein Mädchen zu Tode fährt und Fahrerflucht begeht. Nur ihrem Mann gesteht sie die Tat und langsam lässt das gemeinsame Wissen um diese Schuld die Liebe zueinander wieder wachsen, bis der Druck so gross wird, dass sie sich den Eltern des Opfers doch stellen. Doch was sollen die mit einer Entschuldigung anfangen?
Ruhig, aber mit einem Sog, der den Zuschauer unmittelbar ins Geschehen zieht, entwickelt Mathias Glasner, der vor einigen Jahren mit dem Vergewaltigerdrama Der freie Wille für heftige Kontroversen sorgte, die Handlung. Meisterhaft bettet er sie in die grandiose endlose Winterlandschaft ein, die von weissem Schnee und dunkelblauem Meer und Himmel bestimmt ist. Zur Metapher für die Vereisung der Beziehungen, aber auch für die Schwere der Schuld wird dieser Hintergrund, der zumindest gleichwertig neben dem intensiven Spiel von Jürgen Vogel und Birgit Minichmayr steht. Gleichzeitig spiegelt sich im Gegensatz von kalten Aussen- und warmen Innenszenen die Ambivalenz der Figuren, besonders Marias, die sich als einfühlsame Krankenschwester für einen guten Menschen hält: "Ich bin nicht dieser Mensch, der andere tötet", sagt sie. Und doch sind ihre Tat und deren Folgen ein nicht mehr rückgängig machbares Faktum. Packend werden so grundsätzliche menschliche Fragen nach dem Leben mit einer schweren Schuld, aber auch nach dem Schmerz der Eltern der Getöteten und nach Sühne aufgeworfen.
Allerdings überspannt Glasner den Bogen bei seinem insgesamt auch etwas zu lange geratenen Beziehungsdrama. Denn einerseits lässt er parallel zur Haupthandlung Sohn Markus durch Mobbing ebenfalls schuldig werden, andererseits wirkt die Bewegung vom eisigen Winter zur Sühne in der wärmenden Frühlingssonne doch reichlich prätentiös. Hoffnung auf Befreiung von der Schuld macht er dem Paar und damit auch dem Zuschauer zwar keine, zeigt aber eine Möglichkeit mit der Schuld zu leben. Als Kitsch kann man dieses versöhnliche Ende bezeichnen, aber es hat auch etwas sehr tröstliches.
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