Je verrai toujours vos visages Frankreich 2023 – 118min.
Filmkritik
Menschlichkeit zwischen Opfern und Verurteilten
Schon als Kind hat die Idee Jeanne Herry nachhaltig beeindruckt: Damals hörte sie die Geschichte einer Frau, die den Mörder ihrer Tochter im Gefängnis besuchte. Nachdem die Regisseurin 2018 mit «Pupille» Geburt und Adoption verhandelt hat, kehrt sie nun zu dem Thema der «justice réparative» zurück. Die noch relativ unbekannte Praxis wurde 2014 in Frankreich eingeführt.
Die «justice réparative» bietet Opfern und Verurteilten einen neutralen und sicheren Raum für Gespräche. Die Regisseurin Jeanne Herry greift das Thema auf und folgt den Dialogen und Erkenntnissen einer Reihe von Charakteren, die von einer echten Fünf-Sterne-Besetzung dargestellt werden. Adèle Exarchopoulos, Élodie Bouchez oder auch Gilles Lellouches schlüpfen in die Rolle von Fachleuten, Freiwilligen, Opfern oder Tätern. Das Ganze hat dabei nur ein Ziel: Alle sollen wieder Teil der Gesellschaft werden können.
Der Film beginnt mit einer starken Szene, die allerdings nur Teil eines Rollenspiels ist. Das Schwierigste für die ehrenamtlichen «CPIP»-Auszubildenden – die Abkürzung bedeutet zu Deutsch etwa Strafvollzugsberater für Eingliederung und Bewährungshilfe – besteht darin, Ruhe und so echtes Zuhören zu garantieren. Es ist schwierig, die Erzählungen von Gewalttätern nicht zu unterbrechen und erst Recht, sie nicht zu verurteilen – trotzdem geht es darum, einen neutralen und sicheren Raum für Versöhnung zu schaffen.
Dabei wird sowohl den Opfern als auch den Verurteilten die Möglichkeit gegeben, sich zu äussern. Der Film vermeidet es, eine vereinfachende Aufteilung von Gut und Böse zu präsentieren, und hat stattdessen einen differenzierten Blick auf die Begriffe Gewalt, Angst und Wut. So bekommen die Verurteilten wieder ein Gesicht, gleichzeitig wird uns das Leid der Opfer, das oft weit über den Gerichtssaal hinausgeht, gezeigt.
Die meisten Szenen spielen sich in geschlossenen Räumen ab – nicht um das Eingesperrtsein darzustellen, sondern einfach aufgrund der Geschichte. Immer wieder gibt es lange Folgen von Schuss und Gegenschuss, sehr langsame Zooms und Kamerafahrten, die so dezent sind wie die CPIPs: den Erzählungen der verschiedenen Protagonisten wird viel Raum gegeben. Im Mittelpunkt steht immer das Wort, nur von Stille unterbrochen, die im besten Fall zu Verständnis führt.
Die SchauspielerInnen stellen sich dabei in den Dienst einer vielstimmigen Erzählung, die um die Lebenswege von Chloé, die in ihrer Kindheit Opfer einer Vergewaltigung wurde, und Judith, die ihr hilft, die Rückkehr ihres Peinigers in ihre Stadt zu bewältigen, aufgebaut ist. Adèle Exarchopoulos, Leïla Bekhti, Elodie Bouchez, Miou-Miou und Gilles Lellouche, zum Teil nur in Nebenrollen, sind einige der bekannten Namen, die auf der Besetzungsliste auftauchen. Aus einem langen, schwierigen Prozess ohne sicheren Ausgang erwächst die Hoffnung auf eine Versöhnung zwischen den Menschen.
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