Wie kann man mit einem aufgeklärten Patriarchen auf zärtliche Weise über feministische Kämpfe sprechen? Die schweizerisch-ägyptische Filmemacherin Nadia Fares verwebt die persönlich geprägte Chronik des Feminismus in Ägypten mit einer Hommage an ihren geliebten Vater. Das Porträt über die drei Generationen von Frauen, die für ihre Rechte kämpfen läuft ab 19. Oktober in den Kinos.
Interview mit der Regisseurin Nadia Fares
(Quelle: First Hand Films)
In ihrem Film entsteht eine Art Paradoxon: Formal und im persönlichen, direkten Ton haben Sie eine Hommage an Ihren 2014 verstorbenen Vater geschrieben und gedreht; das eigentliche Thema Ihres Films ist jedoch die Geschichte der Frauenkämpfe in Ägypten.
Der Form nach scheint mein Film eine Hommage an meinen Vater zu sein, aber in Wirklichkeit ehre ich den Mut aller Frauen, die im Osten und im Westen für gleiche Rechte kämpfen. Indem sie einen afrikanischen Mann heiratete, brach meine Mutter ein Tabu, das in der Schweiz in den 1950er und 1960er Jahren noch sehr stark war. Sie bezahlte für diese Übertretung, als mein Grossvater mütterlicherseits, der Schweizer Patriarch der Geschichte, sich verschwor, diesen unerwünschten Ehemann ausweisen zu lassen, was meine Eltern und meine ganze Familie auseinander riss. In der Schweiz wie in Ägypten hat ein Patriarch oft die Autorität, über das Schicksal der Frauen in seiner Familie zu bestimmen. Anhand meiner eigenen Geschichte zeige ich zwei Seiten des patriarchalischen Systems, die spiegelbildlich sind.
Das Schicksal meines Vaters, der sowohl mit dem Osten als auch mit dem Westen eng vertraut war, dient als Achse, um die sich die Geschichte der Frauenkämpfe in Ägypten und in der Schweiz dreht. Wie die meisten ägyptischen Männer war mein Vater natürlich ein Patriarch, aber, wie ich im Voice-over am Ende des Films sage, ein “cooler Patriarch”.
Nawal El Saadawi, die Pionierin des Feminismus im gesamten Nahen Osten, die uns letztes Jahr verlassen hat, besteht darauf, dass auch Männer Opfer des Patriarchats sind. Wie seine Altersgenossen musste sich auch mein Vater den Verhaltensnormen anpassen, die die Gesellschaften des Nahen Ostens den Ehemännern und Vätern in der Region auferlegen. “Was für ein Mann bist du? Welchen Respekt verdienst du, wenn du nicht einmal deine Frau und deine Töchter kontrollieren kannst?” Jeder Mann, der sich nicht an die patriarchalischen Traditionen hält, setzt sich der Verachtung oder dem völligen Ausschluss aus. Wer ist mutig genug, ein solches Risiko einzugehen? Meinem Vater ist es sowohl in der Schweiz als auch nach seiner erzwungenen Rückkehr nach Ägypten gelungen, ein ehrbares Gleichgewicht zu finden zwischen dem, was die beiden Länder von ihm verlangten, einerseits und dem, was ihm sein “modernes” Gewissen über die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung der Situation der Frauen sagte, andererseits. Ein Teil meiner Zuneigung und meines Respekts für ihn rührt daher, dass ich mir bewusst bin, dass er innerhalb der Grenzen, die ihm das Schicksal und die Umstände auferlegt haben, das Beste getan hat.
Nawal El Saadawi, die Sie gerade zitiert haben, ist der starke Ankerpunkt Ihres Films. Die 1931 geborene Frau strahlt vor Ihrer Kamera intellektuelle Lebendigkeit und kämpferische Energie aus; ihre Analysen sind stark und präzise. Sie sprengt die Leinwand in ihrer Art, uns von den feministischen Kämpfen in Ägypten zu erzählen und sie mit der Geschichte des Landes in Verbindung zu bringen.
Bis zu ihrem letzten Atemzug hat Nawal ihre Energie in den Kampf gesteckt und sich bemüht, ihren Kampfgeist an die jungen Frauen von heute weiterzugeben - in Ägypten, aber auch anderswo, dank ihres internationalen Einflusses.
Als wahrhaft mutige Frau zahlte sie einen hohen Preis für ihr Engagement, als nach dem Tod des progressiven Präsidenten Nasser im Jahr 1970 eine konservative Gegenreaktion einsetzte. Die Jahre der Präsidentschaft von Sadat waren für sie schwierig. Ihr Aktivismus und ihre Schriften, in denen sie die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung anprangerte, führten zu ihrer Entlassung aus dem Gesundheitsministerium. Ihre Schwierigkeiten erreichten 1981 ihren Höhepunkt, als sie wegen Verstosses gegen das “Gesetz der Schande” inhaftiert wurde.
Nawals Essays und weitere literarische Werke, die in viele Sprachen übersetzt wurden, haben die jüngere ägyptische Geschichte tief geprägt, da sie die Verbindung und Komplementarität zwischen der feministischen Bewegung und anderen sozialen Kämpfen betonen.
Auch Männer sind Opfer des Patriarchats
Im Laufe des Films und wie in einem Refrain folgen wir den Spuren der jungen, feministischen Frauen in Kairo, die mit entschlossenem Blick auf ihren Fahrrädern durch die Hauptstadt fahren. Diese Sequenzen und das wiederholte Auftauchen von Fahrrädern haben für Sie sicher eine Bedeutung, oder?
Ja, diese Fahrräder drücken im Kontext dieser feministischen Kämpfe vieles aus. Auf einem Fahrrad zu fahren ist im Nahen Osten, aber auch in anderen patriarchalischen Gesellschaften an sich schon ein transgressiver Akt: Wer sich auf ein Fahrrad setzt und in die Pedale tritt, gefährdet in erster Linie die Unversehrtheit des Jungfernhäutchens und riskiert damit einen tragischen Abschlag auf dem Heiratsmarkt: Wer wird noch eine Braut wollen, deren Jungfräulichkeit zweifelhaft ist? Diese Fahrräder sind auch eine Metapher: Das Fahrrad zwingt einen, in die Pedale zu treten und sich immer vorwärts zu bewegen. Es ist auch ein Marker für einen direkten, leichten und pragmatischen Feminismus und ein effizientes Allzweckfahrzeug im Verkehrschaos von Kairo.
Der Film endet mit Bildern, die sicherlich nicht nur in Ägypten, sondern auch im Westen für Überraschungen sorgen werden. Kurz vor und während des Abspanns begleitet ein Lied über Freiheit eine Poledance-Sequenz: Eine der Radfahrerinnen, die sehr schön ist, zeigt Figuren vor dem Hintergrund des untergehenden Himmels. Ein überraschendes Finale in einem Film mit feministischem Anspruch, oder?
Ja, Poledance wird manchmal als Klischee des weiblichen Objekts identifiziert, das seine Parade um eine aufgerichtete Achse herum entfaltet. Es stimmt, dass meine Cousinen im Süden meine Entscheidung, den sich bewegenden Körper der feministischen Radfahrerin aus Kairo so grosszügig zu zeigen, vielleicht nicht gutheissen werden. Vielleicht wird sich auch ein Teil des Publikums im Westen wundern, dass ein Film, der sich mit einem ernsten und sogar tragischen Thema befasst, so in diesen Bildern einer asumierten und frechen Weiblichkeit verpufft. Wir, die rebellischen Frauen, werden immer noch mutig tanzen und die Weiblichkeit nach unserem Gutdünken behaupten, um die Achtung der Gleichheit durchzusetzen.
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