Kinsey Deutschland, USA 2004 – 118min.
Filmkritik
Doktor Sex
Viel Lärm um das Eine: Bill Condons Biopic über den legendären Sexualforscher Alfred Kinsey erregt das prüde Amerika. Wir bleiben sachlich.
In Amerika haben sie Alfred Kinsey wieder entdeckt. T. C. Boyle erweist ihm mit der fiktiven Biographie "Dr. Sex" die Reverenz. Bill Condon, spätestens seit "Gods and Monsters" definitiv ein interessanter Phall, huldigt dem Mann, der die Grundlagen für die sexuelle Befreiung der westlichen Gesellschaft schuf, mit einem Bio-Picture.
Und Alfred Kinsey verbreitet noch in der Gestalt von Liam Neeson Angst und Schrecken, zumindest drüben. Radikal-konservative Moralisten, die seit Bush Juniors Wiederwahl noch lauter für eine Gesellschaft beten, in der Frauen keine Rechte haben und Homosexuelle schon gar nicht, diskreditierten Kinsey als "Päderasten" und wollen hinfort sämtliche Filme des "Kinsey"-Studios Fox boykottieren. Als ob Leute ins Kino gehen, die den ganzen Tag die Bibel lesen.
Ihrer Welt entstammt Alfred Kinsey. Auch er wächst, gut hundert Jahre früher allerdings, in dem Glauben auf, das Onanieren schlage den Mann mit Blindheit, und das Tragen hochhackiger Schuhe mache die Frau unfruchtbar. Der Sohn eines Laien-Predigers wird Insekten-Forscher, der bald alles über Gallwespen weiss, aber als in der Hochzeitsnacht das feste Hymen seiner Frau ihre Entjungferung verhindert, ist Schluss mit Bücher schreiben, die kein Mensch liest. Kinseys Kampf gilt ab sofort der viktorianischen Prüderie, die den Blick auf die wunderbaren Eigenheiten des menschlichen Körper verstellt. Und so wird aus dem Mann, der lange null, null Sex hatte, so etwas wie der Agent im Auftrag seiner Majestät der körperlichen Liebe.
Er entwickelt den ominösen Fragebogen zu genau 521 Aspekten des sexuellen Verhaltens (Wann haben sie zum ersten Mal masturbiert? Hatten Sie bereits Sex mit Tieren?), legt ihn mehr oder weniger allem vor, das weiss ist und zwei Beine hat, und bündelt die Antworten zu den berühmten "Kinsey-Reports", die - um 1950 herum - einschlagen, wie nur Sex-Bomben es können. "Weil du den Amerikanern gesagt hast, dass ihre Töchter und Grossmütter masturbieren, miteinander schlafen und vorehelichen Geschlechtsverkehr haben", wie Kinseys Ehefrau (Laura Linney) einmal bemerkt. Oder salopp gesprochen: Ein Land rieb sich mehr als die Augen.
Man hat Bill Condon vorgeworfen, er inszeniere seinen Kinsey allzu ungebrochen als "Selfmade"-Wissenschaftler, der sich - nicht zuletzt in seinem engsten Umfeld - mit derselben kühlen Distanz über die rigiden Schranken seiner Zeit hinwegsetzte, die ihn einst seine Gallwespen betrachten liess. Das ist nicht falsch, und wem der Sinn mehr nach jenen Zwischentönen steht, die zu vermuten sind, wenn "forschen" zum Beispiel heisst, mit der Freundin eines Freundes zu schlafen und das vielleicht nicht ganz freiwillig, dem sei Boyles "Dr. Sex" anempfohlen. Condons "Kinsey" hat weniger dunkle Seiten - in jeder Hinsicht.
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Kommentare
Gelöschter Nutzer
Verfasst vor 19 Jahren
das Themea würde schon sehr viel hergeben. Film fokusiert dennoch auf Skandale extremer Art, die für die Geschichte nicht relevant wären.
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