Les saisons Frankreich, Deutschland 2015 – 97min.
Filmkritik
Die Wildnis ruft
Die Erde hat sich gewaltig gewandelt seit Menschengedenken. Die Sehnsucht nach Natur und die Liebe zum Wald, zum Ursprünglichen sind geblieben. Die Dokumentarfilmer Jacques Perrin und Jacques Cluzaud sind den Spuren der Wildnis des europäischen Kontinents gefolgt und haben faszinierende Bilder eingefangen.
Es war einmal… So fangen nicht nur Märchen, sondern so fängt auch unsere Erdgeschichte an. Es gab eine Eiszeit vor etwa 40'000 Jahren, in welcher dann der Mensch auftauchte. Diese Polarkälte ging vor 15'000 Jahren zurück und eine Klimaerwärmung folgte. Die Gletscher schmolzen vor etwa 12'000 Jahren, und der Wald bedeckte den europäischen Kontinent. Die grosse Zeit der Jäger und Sammler. Vor rund 6'000 Jahren wurden Menschen sesshaft (Jungsteinzeit). Der Homo sapiens bediente sich des Waldes. Die Siedler begannen zu roden, Boden zu beackern, rückten Wald und Bewohnern zu Leibe. Ein langer, aber rigoroser Prozess, bis Städte entstanden, bis Wald und Tiere zurückgedrängt und dezimiert wurden.
Einiges an Flora und Fauna hat überlebt, vieles ist gefährdet. Ein neues Bewusstsein hat teilweise zur Besinnung geführt – angesichts des unverantwortlichen Raubbaus, der Klimaveränderung, der Erderwärmung und Treibhauseffekte. Die beiden französischen Dokumentarfilmer, Jacques Perrin und Jacques Cluzard, die bereits mit den Naturfilmen Nomaden der Lüfte (2001) und Unsere Ozeane (2009) grosse Aufmerksamkeit fanden, haben eine phantastische Reise unternommen – über Jahrtausende. Aus Urzeiten sozusagen, als Wälder Europa bedeckten und Bäume natürlich abstarben, als Bisons, Auerochsen, Hirsche zuhauf lebten und Menschen die Ausnahme waren, spannt sich der grosse Filmbogen über Nutzung und Ausbeutung bis zu Holzwirtschaft und Verstädterung heute. Der Mensch hat sich der Natur der bemächtigt, Tiere wie Wölfe ihres Lebensraums beraubt und meint, alles unter Kontrolle zu haben.
Eben nicht, wie wir wissen. Träume von Wildnis, Natur, Natürlichkeit sind geblieben. Auch davon handelt der bildstarke Film, von Idyllen, verlorener und zurückkehrender Wildnis, von Sehnsucht und Gegebenheiten heute. Der Naturfilm transportiert natürlich eine Botschaft – zwischen den Bildern. Jacques Cluzaud plädiert für einen neuen Blick «auf unsere komplizierte und komplexe Beziehung zur Natur» und möchte eine «schöpferische Emotion» auslösen. Dass der Film sich jeglichen Kommentars enthält, ist ebenso wohltuend und durchdacht wie die Grundperspektive. «Unsere Wildnis» meint nämlich nicht die von uns, die verlorene oder erträumte, sondern die aus Sicht der Tiere. Keine Zeitreise mit politischen Ambitionen, sondern mit Poesie und Empathie.
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