Harmonium Frankreich, Japan 2016 – 118min.

Filmkritik

Zerstörung einer Familie

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Ein Fremder, dem Patron bekannt, dringt in eine Familie ein, erschleicht sich das Vertrauen der Ehefrau und Tochter. Er zerstört die Harmonie. Das Drama des Japaners Koji Fukada stellt die kleinste gesellschaftliche Einheit, die Familie, radikal in Frage und gewann mit seinem Film in Cannes 2016 den Jury-Preis.

Unscheinbar und still leben die drei ihr Leben in der japanischen Provinz: Der schweigsame Handwerker Toshio (Kanji Furutachi) führt ein eigenes Geschäft (Metallverarbeitung). Zusammen mit seiner Frau Akié (Mariko Tsutui) und Tochter Hotaru (Momone Shinokawa als Teenager; Kana Mahiro als Behinderte) bildet er scheinbar eine harmonisch funktionierende Familie, bis ein Fremder auftaucht: Yasaka (Tadanobu Asano). Zum Erstaunen aller stellt Toshio ihn als Gehilfen ein. Und der bezirzt Akié bis zu einem gewissen Grad und lehrt Hotaru das Spiel am Harmonium, beargwöhnt vom Patron Toshio. Die beiden Männer verbindet ein Ereignis, das Jahre zurückliegt. Toshio war beteiligt oder zumindest Zeuge eines Mordes, für den Yasaka zehn Jahre im Gefängnis gesessen hatte. Toshio hat offensichtlich eine Schuld abzutragen, und sein früherer Kompagnon fordert Genugtuung. Er versucht, Toshios Frau zu verführen – was misslingt – und vergeht sich an der Tochter. Ein Missgriff, eine Attacke, ein Unglück mit fatalen Folgen. Yasaka verschwindet, und das Mädchen Hotaru ist gelähmt, sprach- und bewegungslos. Acht Jahre danach taucht wieder ein Fremder bei Toshio auf: Takashi (Taïga). Und Toshio hat einen Verdacht...

Autor und Regisseur Koji Fukada hat mit Harmonium ein subtiles Familiendrama entworfen und inszeniert. Der Titel ist zumindest im Deutschen zweideutig angelegt: Einerseits versteht man unter Harmonium ein Tasteninstrument, bei dem Luft eine wichtige Rolle spielt und das ähnlich wie ein Akkordeon funktioniert. Andererseits assoziiert der Name Harmonie, Einheit. Beides wird in Fukadas Tragödie unterlaufen, in Frage gestellt, ja zerstört. Hotaru, das Mädchen am Harmonium, wird nie wieder dieses Instrument bedienen können; die Familienharmonie ist durch den Eindringling, der Gewalt ins Spiel bringt, eindringlich zerstört.

Fukada bemerkt selber zu seinem Film, dass er das System einer Familiengemeinschaft anzweifelt. «Das japanische Kino idealisiert Familienbande, doch indem man so das veraltete und stereotype Bild einer 'idealen Familie' verbreitet, leugnet man die verschiedenen Arten von Familien, die es tatsächlich gibt. Ich wollte unbedingt eine bereits zerrissene Familie beschreiben.» Die Familienharmonie in seinem Film ist zerrüttet, brüchig und wird vollends durch den Fremden ins Wanken gebracht, der eine alte Rechnung offen hat, sich einschleicht und die Komponente der Gewalt einfügt. Ein intimes, eindringliches Drama, das nachdenklich stimmt und nachwirkt.

14.03.2017

5

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