Filmkritik
Mit anderen Augen verstehen
Daphne ist 31. Aber wenn man sie nach ihrem Alter fragt, muss sie da auch erst mal drüber nachdenken, irgendwas zwanzig ... ist auch egal. Sie arbeitet in der Gastro, in einem gemütlich-schicken Londoner Restaurant mit feinen Gerichten, die sie je nach Zustand mal schöner, mal schlampiger zubereitet. Ihr Boss ist ihr engster Vertrauter, Freundinnen trifft sie sporadisch, vor allem gerne zu ein paar Drinks, ihre Mutter geht ihr auf die Nerven in ihrem Kampf gegen den Krebs, ihr Vater ist bei einem Autounfall verunglückt und als Haustier hält sie eine Python.
Kritik von Judith Schuck im Rahmen des Watch and Write am ZFF 2017.
Was sie vorher mal gemacht hat, was sie sonst noch vorhat, erfährt man nicht im Film. Doch vervollständigen die Bruchstücke und Eindrücke nach und nach Daphne als eine Person, die super tough und super rough rüberkommt und ihre zynische, egozentrische Seite lange Zeit glaubwürdig durchzieht. Sie liest gerne Zizek und Freud. Psychoanalyse. Das scheint auch der Grund zu sein, warum sie beim Therapeuten, zu dem sie kommt, weil sie als unmittelbare Zeugin eines Raubüberfall verstört ist, nicht sprechen kann. Weil sie sich und ihr Leben schon selbst die ganze Zeit seziert und analysiert, bis sie ganz mürbe ist vom ewigen Wiederkäuen. Sie sagt dem Psychologen, sie sei zu müde zum Reden. Dass sie Angst davor hat, durch das Reden könnte die Kapsel, die sie um sich gesponnen hat, porös werden und so ihre Innenwelt mit der Aussenwelt in Kontakt kommen, die sie dann beeinflusst, zeigt sich daran, dass sie bei der ersten Sitzung wegrennt, sich dann aber entscheidet, die Therapie fortzusetzen.
Mit dem Psychoanalytiker Lacan ausgedrückt, dessen Schüler Zizek war, scheint Daphne auf der Suche nach „klein a“ zu sein, einem idealtypischen Objekt ihrer Begierde. Aber zugeben würde sie das nicht. Sie lebt in ihrer eigenen Welt, gibt sich nach aussen hin abgeklärt, sie glaube nicht an Liebe, nur an Sex. Sagtsie. Auch zu ihrem Chef, der sie eigentlich liebt, aber in ihrer aktuellen Haltung respektiert. Neben ihrem Job hat sie als Hobby vor allem sich „weg-wasten“. Bald jeden Abend betrinkt sie sich in Kneipen, zieht Koks in Clubs, hat x-beliebigen Sex ohne Gefühl und ohne Empfinden, denn das ist in ihrem Zustand längst betäubt. Bis an den Punkt, als sie wieder mit einem fremden Typen im Bett bzw. auf irgendeinem Sofa landet. Sie hat mittags schon mit Trinken angefangen und er sie in einer Kneipe aufgegabelt.
Da kommt langsam der Ekel. Ein stummer, klossartiger Ekel, viel mehr vor sich selbst, als vor dem Fremden, der sich gerade an ihrem Körper befriedigt hat. Langsam wandelt sich das Bild von einer extrem selbstsicheren zu einer extrem unsicheren Person, die andere fragt, ob sie egoistisch wirkt und sich Sorgen macht, dass sie nicht genug Mitgefühl für andere hat. Doch in Wirklichkeit hat sie so viel Mitgefühl in sich, dass sie es unter ihrer auberginefarbenen Lederjacke, die sie immer trägt, gut einpacken muss, damit sie nicht gleich alles davon verschenkt. Weil gelernt, gut zu sich selbst zu sein, hat Daphne noch nicht so richtig. Dazu muss sie auch noch „gross A“ finden, das ihr hilft, zu sich selbst zu finden. „Daphne“ nimmt die Zuschauer für 90 Minuten mit und lässt sie durch ihre Person an ihrem Londoner Leben teilhaben. Ein wortwörtlich packender Film, der ganz viele Gefühle erzeugt, mit denen man als Zuschauer reicher wieder aus dem Kino-Saal spazieren kann.
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