A Chiara Frankreich, Italien, Schweden 2021 – 121min.
Filmkritik
Familie vs. kriminelle Unterwelt
Seine Filme sind vielfach prämiert und auch Martin Scorsese ist sein Fan: die Rede ist vom italienisch-amerikanischen Filmemacher und Autor Jonas Carpignano. In «A Chiara» begleitet er eine Heranwachsende, die ihren Vater sucht – und Verbindungen zur kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta aufdeckt.
Chiara (Swamy Rotolo) ist 15 und lebt in Kalabrien. Der Kontakt zur Mutter, dem introvertierten Vater Claudio (Claudio Rotolo) und ihren Schwestern ist eng. Der 18. Geburtstag der ältesten Schwester (Grecia Rotolo) steht kurz bevor. Wenig später wird das Geburtstagsfest im Kreis der Grossfamilie ausgelassen gefeiert. Doch als Claudio mit Chiaras Cousins unvermittelt aufbrechen und im Dunkel der Nacht verschwinden, entstehen in Chiara Unsicherheit und Misstrauen. Hat der Vater etwas zu verbergen? Wieso ist er am folgenden Morgen nicht zurück? Chiara forscht nach und stösst schliesslich auf ein Familiengeheimnis.
Nach «Mediterranea» (2015) und dem von Martin Scorsese mitproduzierten «A Ciambra» (2017) beschliesst Jonas Carpignano mit «A Chiara» seine sogenannte Kalabrien-Trilogie. Alle drei Werke spielen zum Teil oder ausschliesslich in jener südlichsten Region Italiens und alle Filme sind geprägt von ihrer dokumentarischen Note. So auch der Ende 2019 an Originalschauplätzen gedrehte «A Chiara».
Das zeigt sich etwa an den unaufdringlichen, unverstellten Darbietungen der (Laien-) Darsteller, allen voran der kalabrischen Grossfamilie um Chiara und ihren Vater. Der Umgang der Sippe miteinander wirkt deshalb so ungekünstelt, da es sich auch im wahren Leben um eine Familie handelt: um Tanten, Onkel, Cousins, Schwestern und Eltern, die einander sehr gut kennen und ihre wahren Gefühle deshalb nur schwer überspielen können.
Um dem Zuschauer Zugang in die Innenwelt seiner Hauptfigur Chiara zu gewähren, bedient sich Carpignano einer dynamischen Kamera. Er nutzt intensive Nahaufnahmen und beobachtet die Pubertierende, wie sie sich im familiären und sozialen Umfeld bewegt. Hinzu kommt eine formal jederzeit stimmige, glasklare Bildsprache. Und das im wahrsten Sinne. Ungewöhnliche Kameraperspektiven, etwa durch regennasse Scheiben oder reflektierendes Glas, zeugen vom visuellen Scharfsinn Carpignanos.
Zu weiten Teilen ist «A Chiara» vielmehr Coming-of-Age-Film und Familien-Porträt als Mafia- oder Gangsterfilm. Zum Glück, denn: Spätestens ab der Hälfte bemüht Carpignano das ein oder Klischee zu viel. Drogenschmuggel, Waffenhandel, strikte Hierarchien und Rangfolgen innerhalb der ‘Ndrangheta, die Flucht vor der Polizei. Das alles überrascht wenig und ist erwartbar.
Am stärksten ist «A Chiara» deshalb immer dann, wenn er das Miteinander und den Zusammenhalt innerhalb dieser traditionellen kalabrischen Familie Rotolo genau seziert und Chiara durch ihr Leben folgt. Swamy Rotolo spielt die Protagonistin gleichsam würdevoll und zurückhaltend. Und bis zum Ende von Chiaras Trip durch den Untergrund hält sie das Charisma ihrer Figur aufrecht.
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