CH.FILM

Alfonsina Argentinien, Schweiz 2013 – 75min.

Filmkritik

Der Zeit voraus

Urs Arnold
Filmkritik: Urs Arnold

Argentinien weinte um die gebürtige Tessinerin Alfonsina Storni, als diese 1938 aus dem Leben schied. Christoph Kühns atmosphärischer Dokumentarfilm zeigt auf, warum die Poetin dort heute vergöttert wird.

Feministinnen wie Simone de Beauvoir oder Alice Schwarzer trugen ihren Teil dazu bei, die rigiden Gesellschaftsrollen von Frau und Mann spätestens gegen Ende des 20. Jahrhunderts aufzubrechen. Eine Verbündete im Geiste dieses Wandels war Alfonsina Storni – nur sollte sie ihn nie erleben.

1892 in der Schweiz geboren, wandert Alfonsina im Alter von vier Jahren mit der Familie nach Argentinien aus. Mit zwölf stirbt ihr Vater, mit zwanzig gebärt sie ihren Sohn, Alejandro. Unehelich. Soziale Ausgrenzung war ihr sicher. Alfonsina schrieb dagegen an. Schrieb für die Gleichberechtigung und die Selbstbestimmung von Frauen. Schrieb, um nicht zu sterben, wie sie es einmal formulierte.

Wie Christoph Kühns Dokumentarfilm aufzeigt, sollte ihr Kampf gegen die machoiden Windmühlen unbelohnt bleiben. Zwar steigt ihr Ansehen als Dichterin und Schriftstellerin in den 1920er Jahren immer mehr. Ein Theaterstück aber wird 1927 zum Fiasko, weil es als zu männerkritisch eingestuft wird. An Brustkrebs erkrankt, setzt Alfonsina Storni ihrem Leben elf Jahre später selbstbestimmt ein Ende.

Der Nachwelt blieben zahlreiche Schriften. Sie untermauern abermals die These, dass grosses Leid grosse Kunst schaffen kann. In Argentinien durch ihr Oeuvre und ihr visionäres Gedankengut zu einer Legende geworden, ist die Schriftstellerin hierzulande jeodch kaum bekannt. Näher bringt uns ihre Persönlichkeit nun Filmemacher Christoph Kühn, der sich in seiner Filmographie des Öfteren mit unangepassten, freigeistigen, rebellischen Menschen auseinandergesetzt hat. Etwa mit Friedrich Glauser, Bruno Manser, Gustav Gräser, Ella Maillart oder einem in seinen letzten Jahren sichtlich verbitterten Franz Schnyder.

Kühn unterlässt es, das Leben von Alfonsina Storni gleich einer To-Do-Liste Punkt für Punkt abzuarbeiten – ganz so hätte es die Künstlerin wohl auch gewollt. Viel von ihrer Literatur lässt er rezitieren, sie quasi also über sich selbst erzählen. Er bietet dosiert Zeitzeugen auf, führt Archivaufnahmen vor Augen, webt aber auch zahlreiche selbstgedrehte Aufnahmen ein.

Atmosphärisch ist diese Verquickung sehr gut gelungen. Wenn, dann hätte Kühn vielleicht die Urenkelin noch stärker in den Film einbringen dürfen. Die erste weibliche Nachkommin von Alfonsina Storni liest in Argentinien regelmässig aus deren Werk, und begibt sich hier auf eine etwas lose Spurensuche. Dem positiven Eindruck dieses Dokumentarfilm tut dies keinen Abbruch: Alfonsina kann die Weltanschauung seiner Hauptfigur bleibend und eindringlich vermitteln.

22.04.2024

4

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