Ein Kaleidoskop kennen die meisten wohl noch aus der Kindheit: ein kleines Rohr zum Durchschauen, das die Welt in fantastische Muster zerteilt, einfärbt und ganz und gar verändert. Die Netflix-Serie «Kaleidoskop» will mit ihrem Ansatz des nicht-linearen Erzählens ganz sicher die Welt der Serien verändern und erzählt ganz nebenbei die Geschichte eines cleveren Raubes. Wir verraten, für wen und warum die Serie ein Erlebnis sein wird.
1. Heisse Heists: Ein Muss für Genrefans
Im Zentrum der Serie steht ein ausgeklügelter, unheimlich schwer zu stemmender Raubüberfall der Superlative, was Fans des Heist-Genres zum Schwärmen bringen wird. Wer die «Oceans»-Filmreihe oder andere bankraubzentrierte Filme wie «Heat», «Inside Man» oder «Baby Driver» mochte, wird den Ansatz von «Kaleidoskop» lieben. Von langer Hand geplante Täuschungsmanöver, clever ausgetrickste Sicherheitstechnik und blitzschnelles Lösen spontan auftauchender Probleme – die Serie bietet alle Geschmacksrichtungen des Genres.
Dazu gehört natürlich auch ein Team voller spezialisierter Krimineller: Safe-Knacker, Superhirne, Chemie-Expertinnen, Rennfahrende und Menschen, die doppelte Spiele spielen. Hier fehlt es an nichts! Die Serie nimmt sich zudem ausreichend Zeit, um das Zusammenkommen der Crew zu beleuchten, die zu erwartenden Reibereien unter den Kriminellen auszukosten und den Figuren interessante Hintergrundgeschichten zu geben. In diesen darf das Publikum natürlich weitere krumme Dinger, Raubüberfälle und Betrügereien beobachten – Jackpot!
Was ist besser als ein einziger genialer Coup? Noch mehr geniale Coups! Um das Ding des Jahrhunderts drehen zu können und den Raub einer gewaltigen Menge Geld von den mächtigsten Bankvorständen der Welt zu bewerkstelligen, muss die Gruppe erst einmal zu Geld kommen. Dafür gibt es einen kleineren, aber nicht weniger spektakulären Heist, der ebenfalls meisterhaft geplant ist. Hinzu kommt ein fantastisch durchgeführter und sehr spannender Gefängnisausbruch – wer immer schon wissen wollte, wie es aussieht, wenn eine komplette Gefängnisbelegschaft gleichzeitig auf Pilzen trippt, sollte sich das nicht entgehen lassen.
2. Die Facetten des Kaleidoskops: Nicht-lineares Erzählen
Der besondere Reiz an «Kaleidoskop» ist die Erzählform der Serie, die durch eine frei wählbare Reihenfolge der Episoden besticht. Dieses Experiment ist nicht nur spannend, sondern verlangt auch besonderes Feingefühl der Erzählenden, damit es für das Publikum funktionieren kann. Die Serie stellt den Raub in das Zentrum der Handlung und richtet die anderen Handlungsstränge danach aus. Die Episoden haben teilweise grosse zeitliche Abstände. Eine Folge spielt beispielsweise 24 Jahre vor dem Überfall, eine andere 6 Monate danach.
Dieses Vorgehen macht «Kaleidoskop» zu etwas Besonderem und eröffnet neue Wege des Erzählens. Die Figuren machen oft Anspielungen auf die Vergangenheit oder eine Beziehung untereinander, die dann in einer anderen Episode genauer beleuchtet wird. Dadurch bleiben die Folgen trotz grösserer Zeitsprünge miteinander verknüpft. Die einzelnen Episoden sind dementsprechend nicht nummeriert, sondern mit Farben und Zeitpunkten benannt – ein gelungener Rückgriff auf den Titel der Serie. Lediglich die finale Folge «White: The Heist» ist vorgegeben, sodass alle Handlungsstränge zusammengeführt werden können.
3. Vielfalt an Perspektiven: Eine diverse Gruppe
Wie bereits erwähnt, bietet «Kaleidoskop» eine grosse Gruppe von Figuren an, einerseits innerhalb der Heist-Crew, andererseits als Gegenspieler – manche wechseln sogar zwischen den Lagern hin und her. Bei dieser Menge an Charakteren ist es unvermeidbar, dass einige etwas klischeehafter bleiben und weniger Tiefgang entwickeln. Andere werden dafür umso ausführlicher beleuchtet und mit tiefgreifenden Konflikten und spannenden Hintergrundgeschichten ausgestattet.
Positiv zu erwähnen ist dabei die Diversität des Casts und die unterschiedlichen Lebensrealitäten der Figuren. Zu einer Vielzahl an Hautfarben und Herkunftsländern der Figuren, kommen verschiedene Lebensgeschichten, Familienkonstellationen und Klassen. Während die FBI-Agentin Nazan Abbasi (Niousha Noor) trotz eines Lebenswandels weg von der Drogensucht hart um das Sorgerecht für ihr Kind kämpfen muss, führt die korrupte Anwältin Ava Mercer (Paz Vega) ein Doppelleben zwischen Luxus und Kriminellen-Unterschlupf. Hier prallen auf spannende Weise Welten aufeinander.
4. Facettenreiches Schauspiel: Giancarlo Esposito
Eine besondere Erwähnung aus der vielschichtigen Gruppe der Darstellenden verdient Giancarlo Esposito, der das Hirn der Operation Leo Pap spielt. Der Schauspieler zeigte sein Talent und seine Wandelbarkeit bereits eindrucksvoll in «Breaking Bad» und war zuletzt in Erfolgsserien wie «The Mandalorian» oder «The Boys» zu sehen. Der Sohn einer afroamerikanischen Mutter und eines italienischen Vaters, der seine ersten Lebensjahre in Europa verbrachte, bringt genau den kosmopolitischen Flair mit, den die Figur braucht.
Seine Figur Leo Pap ist eine Legende der kriminellen Welt und so genau die richtige Kragenweite für Giancarlo Esposito. Doch das Leben eines Kriminellen ist nicht die einzige Facette, die der Schauspieler hier präsentieren kann. So ist Leo Pap ausserdem liebender Vater, Ehemann, Liebhaber, Häftling und darf im Angesicht einer schleichenden Erkrankung auch Schwäche zeigen. So gibt es sowohl Momente eindrucksvoller Machtdemonstrationen als auch emotionaler Offenbarung.
5. Politische Dimension: Amerikanische Lebensrealitäten
Die grosse Diversität der Figuren in «Kaleidoskop» führt zu vielen verschiedenen Blickwinkeln und Lebenswelten, die mitunter auch von Diskriminierung und gesellschaftlichen Problemen handeln. Unter der Oberfläche einer Heist-Geschichte verbirgt sich so auch eine Erzählung über die amerikanische Gesellschaft. Eine besonders spannende Figur ist die aalglatte Anwältin Ava Mercer (Paz Vega), die nicht nur als Immigrantin in einer Männerdomäne Karriere gemacht hat, sondern auch ihr ehemaliges Kindermädchen, das sich illegal im Land aufhält, bei sich versteckt.
Geschickt webt die Serie politische Dimensionen ein, die die Lebenswege und Entscheidungen ihrer Figuren nachvollziehbar machen. Es wird sowohl offener Rassismus in der Lebensgeschichte von Leo Pap gezeigt, als auch indirekt davon berichtet. Ein geradezu beiläufiges Beispiel dafür ist die Berufsentscheidung der iranischen FBI-Agentin Nazan Abbasi, die nach 9/11 unbedingt auf der Seite des Gesetzes stehen will, um den anklagenden Blicken und Kommentaren ihres Umfeldes etwas entgegen zu setzen. Oder der Ehrgeiz der Anwältin, die ihr Leben als Geflüchtete um jeden Preis hinter sich lassen will – die amerikanische Gesellschaft hat diese Figuren erschaffen und bildet so sich selbst ab.
4 von 5 ★
«Kaleidoskop» ist seit dem 1. Januar 2023 auf Netflix verfügbar.
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