Kritik4. Dezember 2019 Irina Blum
5. Human Rights Film Festival Zurich: «Midnight Traveler» gibt Einblick in das Leben auf der Flucht
Das Human Rights Film Festival Zurich zeigt vom 5. bis zum 10. Dezember zum fünften Mal Filme, die einen neugierigen oder unbequemen Blick auf Menschen und ihre Identitäten werfen. So auch «Midnight Traveler»: Für die Doku hat Regisseur Hassan Fazili sich und seine Familie mit Smartphones auf der Flucht vor den Taliban aus Afghanistan gefilmt.
Filmkritik von Björn Schneider
Als die Taliban Kopfgeld auf sein Leben aussetzen, entschliesst sich der afghanische Regisseur Hassan Fazili zur Flucht. Mit dabei sind seine Frau und die beiden Töchter. Die mehrjährige Reise auf der Balkanroute filmen sie mit ihren Mobiltelefonen. In den Flüchtlingslagern durchlebt die Familie eine Zeit der Unsicherheit und ständiger Rückschläge.
Dennoch verleiht Fazili die Tatsache Mut, die Ereignisse für die Nachwelt filmisch zu dokumentieren. So macht er sich, seine Frau und die Kinder zu Protagonisten im eigenen Film, der vom unbedingten Überlebenswillen einer Familie zeugt.
Fazili gelingt mit Midnight Traveler das einnehmende Porträt einer Flüchtlingserfahrung. Die Dokumentation führt dem Zuschauer all jene Torturen vor Augen, die mit einer Flucht über die gefürchtete Balkanroute einhergehen. Da sind die teils katastrophalen (hygienischen) Zustände in manchen Lagern.
Die unerträgliche Kälte, als die Familie im winterlichen Serbien in einer Bauruine nächtigen muss oder die Gewaltspiralen, in welche die vier nicht nur einmal geraten. Etwa in Bulgarien, wenn es vor dem Camp zu gewaltsamen, durch Nationalisten verursachte Ausschreitungen kommt.
Dennoch bleibt Raum für Momente des Glücks und der Hoffnung, in denen häufig die frohmütige Nargis eine zentrale Rolle spielt. Es sind wunderbare Augenblicke kindlicher Unbekümmertheit und Sorglosigkeit, wenn die Elfjährige etwa ausgelassen zu einem Song von Michael Jackson tanzt oder im Schnee spielt. Für die Kinder fühlt sich die Flucht teils wie ein ausgedehnter, abenteuerlicher Familienausflug an.
Die lange Reise, welche die Familie Monate später in ein ungarisches Transitlager führt, ermöglicht dem Zuschauer darüber hinaus eine eindringliche Erfahrung: Er wird Zeuge, wie die Mädchen älter und reifer werden. Und nimmt so an einer innerfamiliären, sehr persönlichen Entwicklung teil.
«Midnight Traveler» unterscheidet sich von anderen mit dem Smartphone gefilmten Flüchtlingsdokus darin, dass die Protagonisten erfahrene Filmemacher sind (auch Fazilis Frau ist Regisseurin) und das Medium genau kennen. Sie wissen, welche Bilder funktionieren, und wie man Emotionen weckt.
Dieser Umstand ist zugleich das grösste Problem des Films. So verschwimmen allzu oft Fazilis Rollen als flüchtender Familienvater und Künstler, etwa wenn er ausgiebig die Schönheit einer winterlichen Schneelandschaft oder einen atmosphärischen Sonnenuntergang einfängt.
In anderen Szenen wählt er kluge Einstellungen und Perspektiven, um die malerischen Landschaften oder Sehenswürdigkeiten zu filmen. Stellenweise wirkt all dies für einen Film dieser Art zu perfekt und geschliffen, auch weil das Bildmaterial im Nachhinein aufwendig überarbeitet und „aufpoliert“ wurde. So geht ihm etwas von seiner Rohheit und Authentizität verloren.
3.5 von 5 ★
«Midnight Traveler» wird am 10. Dezember um 18:30 Uhr im Kino Kosmos gezeigt, im Anschluss daran findet eine Debatte zum Thema «Rechte von Kindern auf der Flucht» statt, an der unter anderem Filmemacher Hassan Fazili teilnehmen wird.
Der Film startet am 12. Dezember regulär in den Deutschschweizer Kinos.
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