Artikel25. Januar 2024

59. Solothurner Filmtage: Würdigung des Schweizer Films gestern und heute

59. Solothurner Filmtage: Würdigung des Schweizer Films gestern und heute
© Solothurner Filmtage

Die Solothurner Filmtage fanden vom 18. bis 24. Januar statt und zeigten wieder einen spannenden Einblick in die Schweizer Filmlandschaft. Ausserdem würdigte das Festival den 100. Geburtstag der Produktionsfirma Praesens und entführte das Publikum in die schillernde Vergangenheit des Schweizer Kinos.

von Teresa Vena

Vom 18. bis 24. Januar fand die grösste jährliche Schau des Schweizer Films statt. In Solothurn kommt die ganze Filmbranche zusammen und präsentiert sich dem Publikum in all ihrer Vielfalt. Die Solothurner Filmtage waren auch in diesem Jahr gut besucht, wieder war es möglich, junge Filmschaffende kennen zu lernen, die sich mit dem eigenen Land beschäftigen. Manchmal sind sie kritisch, manchmal neckisch, immer fliessen die Schweizer Realitäten, die Eigenheiten der Schweizer Gesellschaft, in ihre Arbeiten. Film bietet die Chance, Menschen auch über die eigenen Landesgrenzen hinaus zu interessieren, zu berühren und zu inspirieren.

Dieses Jahr erinnerte das Festival an verschiedenen Stellen daran, welche alte Tradition Kino in der Schweiz hat. Zum einen wurde dem Genfer Kollektiv GDS eine besondere Würdigung zuteil. Das Studio GDS steht für die drei Animationsfilmemacher Georges Schwizgebel, Claude Luyet und Daniel Suter. Sie sind für ihre Kurzfilme bekannt, die weltweit Beachtung gefunden haben. In Solothurn wurde in mehreren Programmblöcken ihr Gesamtwerk präsentiert.

Das Genfer Kollektiv GDS © Solothurner Filmtage

100 Jahre Schweizer Filmgeschichte

Eine weitere Hommage widmete das Festival der Schweizer Produktionsfirma Praesens, die 2024 ihr 100-jähriges Bestehen feiert. Mit einer Auswahl an frühen Werken machte das Programm neugierig auf den langen Katalog an Filmen, die in dieser Zeit entstanden sind. Die Geschichte von Praesens ist eine bewegte. Gegründet wurde das Unternehmen 1924 von Lazar Wechsler in Zürich. Wechsler hatte eine Ausbildung als Ingenieur, arbeitete aber nie in seinem Beruf. Durch die Persönlichkeit eines Tausendsassa und eines kreativen Vermarkters stürzte er sich in ein Geschäft, dessen Potential zu der Zeit noch gar nicht wahrgenommen wurde.

Der Einstieg geschah über Reklamefilme. Wechsler nahm mit Unternehmen Kontakt auf und bot ihnen an, das Medium Film für ihre Produktwerbung zu nutzen. Diese sollte dann in den Kinos laufen. Das Format waren noch Stummfilme, die Wechsler aus altem Filmmaterial wie eine Collage zusammensetzen liess. Die Werbesprüche wurden als Texttafeln eingeblendet. Nach und nach umgab sich Wechsler mit Fachleuten, so stiessen Walter Mittelholzer und Emil Berna in einem frühen Stadium zu Praesens.

Der Kameramann und Abenteurer Mittelholzer verhalf dem Unternehmen auch zu einem seiner ersten Werke im Repertoire: «Mein Persienflug» von 1925, der vor allem aus Luftaufnahmen besteht und die Sehnsucht nach fernen Ländern befriedigen sollte. Ein paar Jahre später, 1939, kam «Frauennot – Frauenglück» zustande und war von einigen Kontroversen begleitet. Der etwa einstündige Dokumentarfilm, noch stumm und in Schwarz-Weiss, greift das Thema Mutterschaft und Geburt auf. Er spricht über Abtreibung und weibliche Gesundheit. Zu offen, zu krude, waren sich einige Zuschauer:innen einig. Anfangs wurde der Film verboten, dann doch erlaubt und wurde schliesslich erfolgreich. Abgesehen vom Tabuthema ist der Film auch wegen seiner Entstehungsgeschichte interessant. Wechsler hatte den Russen Sergei Eisenstein kennengelernt, der mit «Panzerkreuzer Potemkin» und «Oktober» schon viel beachtete expressionistische Werke gedreht hatte. Ihn konnte er für die ästhetische Leitung und Regie des Films verpflichten, Eisensteins Schnittmeister übernahm die Montage.

Szene aus «Mein Persienflug» © Solothurner Filmtage

Schweizer Geschichte in Bildern

Melodramen mit einer gewissen moralisierenden, humanistischen Botschaft waren der Schwerpunkt der fiktionalen Produktion von Praesens. Wechsler war in seinen Interessen stark von seiner Epoche beeinflusst und übersetzte das Bedürfnis, diese zu kommentieren in die Filme, die er produzierte. Neben Emil Berna hatte er früh den aus Österreich stammenden Regisseur Leopold Lindtberg an seiner Seite. Gemeinsam erschufen sie ein paar wichtige Beispiele des frühen Schweizer Films wie «Das Dorf» von 1953, der erst im letzten Jahr in der restaurierten Fassung in Cannes neu aufgeführt wurde oder «Die letzte Chance», der, 1946, ein paar Jahre zuvor, auch in Cannes, sogar einen der Hauptpreise gewann.

Lindtberg ist auch der Autor mehrerer Friedrich Glauser-Romanverfilmungen. Glauser fristet als Schweizer Autor ein Schattendasein. Es ist daher nur rühmlich, dass sich Praesens in diesem Feld derart bemüht hat und «Wachtmeister Studer» und «Matto regiert» zum Leben erweckt hat. Neben Lindtberg zeichnete auch Regisseur Ladislao Vajda für einzelne Meisterwerke in der Filmografie des Unternehmens verantwortlich. Das ist zum einen «Die Schatten werden länger» von 1961, und «Es geschah am hellichten Tag» von 1959, wofür Wechsler Friedrich Dürrenmatt als Drehbuchautor verpflichtete.

Gert Fröbe and Heinz Rühmann in Es geschah am hellichten Tag (1958) © IMDb

Zu diesen bewegten Anfangszeiten sind viele weitere Jahrzehnte hinzugekommen, in denen Praesens die Schweizer Gesellschaft und Geschichte im Kino repräsentierte, verarbeitete und kritisch begleitete. Es entstanden viele Stunden an Unterhaltung, an Herzschmerz und es bewegten sich vor – wie auch hinter der Kamera – zahlreiche Schweizer wie internationale Persönlichkeiten, die durch ihre Leidenschaft die Bilder in Bewegung brachten und hielten. Auch heute produziert Praesens weiterhin Filme.

Praesens und der Schweizer Film werden bis im Frühling noch mehr Platz im Kulturkalender einnehmen. Zum einen wurde im Landesmuseum Zürich gerade die Ausstellung «Close-up. Eine Schweizer Filmgeschichte» eröffnet (noch bis zum 21. April), zum anderen feiern sowohl das Filmpodium in Zürich als auch das Kino Rex in Bern das Jubiläum der Produktionsfirma mit jeweils einem umfangreichen Filmprogramm.

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