Kritik30. Oktober 2024

Filmkritik: «No Other Land»: Tagebuch der israelischen Besatzung

Filmkritik: «No Other Land»: Tagebuch der israelischen Besatzung
© CINÉ-DOC

Der brandaktuelle Film «No Other Land» dokumentiert die Gewalt der israelischen Besatzung im Westjordanland aus der Innenperspektive.

von Kilian Junker; übersetzt aus dem Französischen

Im Mittelpunkt steht die Umgebung des Dorfes, in dem Basel Adra, einer der palästinensischen Regisseure, lebt. Zusammen mit Yuval Abraham, einem Israeli, machen sie sich auf den Weg in die Region Masafer Yatta, um die israelischen Razzien zu filmen, mit denen die Palästinenser:innen vertrieben werden sollen. Mit jeder Nachricht auf ihrem Handy erhalten sie Hinweise auf den Ort eines neuen Gemetzels, wo bis an die Zähne bewaffnete Soldaten Bulldozer verteidigen, die ganze Dörfer verwüsten, bevor sie so schnell verschwinden, wie sie aufgetaucht sind.

Basel und Yuval sollten Feinde sein, die einander gegenüberstehen. Der eine ist Palästinenser, der direkt von der Zerstörung seines Dorfes betroffen ist und von Polizist:innen gejagt wird, die vergeblich versuchen, ihn einzuschüchtern. Der andere ist Israeli und könnte sein Leben geniessen, ohne sich um die von seiner eigenen Regierung begangenen Gräueltaten zu kümmern. Zusammen mit zwei weiteren Co-Regisseuren werden sie jedoch von demselben zwanghaften Drang getrieben: zu dokumentieren, bei jeder neuen Gewalttat eine Kamera zu erheben und das unerträgliche Leben im zwischen zwei scheinbar unversöhnlichen Polen zerrissenen Westjordanland aus dem Inneren heraus zu beschreiben. Obwohl der Dokumentarfilm in die Kategorie des "gelebten Journalismus" fällt, umschiffen sie alle seine Tücken und liefern eine ebenso intime wie zutiefst universelle Erzählung.

Szene aus «No Other Land» © CINÉ-DOC

Hilflosigkeit gegenüber der Not, Unmenschlichkeit in Uniform, Zwangsumsiedlungen, physischer und psychischer Zwang - «No Other Land» steigert sich in ein Crescendo der Gewalt und ruft mit seiner Bildsprache dunkle Stunden der Geschichte herbei, die einem einen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen. Der Film hinterfragt die Macht der Bilder und den Wunsch der jungen Filmschaffenden, mit diesen Bildern die internationale Gemeinschaft zu alarmieren, und schafft es durch seine unzerstörbar scheinende Struktur, in dieser schwarzen Masse des Horrors einen Hauch von Hoffnung aufblitzen zu lassen. Nach der Berlinale, wo er mit dem Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde, gewann «No Other Land» bei Visions du réel unter dem Applaus eines vollbesetzten Saals den Publikumspreis. Der Film ist das Sprachrohr einer Bevölkerung, die sich nur schwer Gehör verschaffen kann.

5 von 5 ★

«No Other Land» ist ab dem 1. November 2024 im Kino zu sehen.

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