Interview17. Oktober 2024

Interview: Andreas Dresen über «In Liebe, Eure Hilde»: «Die stillen Helden sind manchmal wichtiger als die lauten.»

Interview: Andreas Dresen über «In Liebe, Eure Hilde»: «Die stillen Helden sind manchmal wichtiger als die lauten.»
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Mit «In Liebe, Eure Hilde» war der deutsche Regisseur Andreas Dresen bereits zum fünften Mal im Wettbewerb der Berlinale vertreten. Wir haben mit ihm über sein packendes Drama gesprochen und erfahren, warum auch der historische Stoff auch heute noch relevant ist.

Interview geführt an der Berlinale 2024 durch Cornelis Hähnel

Andreas Dresen wurde in Gera geboren und studierte Regie an der Filmhochschule HFF Konrad Wolf in Potsdam. Bereits mit seinem ersten Kinofilm «Stilles Land» (1992), einer Tragikomödie über die Wendezeit an einem Kleinstadttheater, machte er auf sich aufmerksam.

Der grosse Durchbruch gelang ihm dann aber mit «Halbe Treppe» (2002), der ihn auch international bekannt machte. Seitdem zählt er zu den wichtigsten Stimmen des deutschen Kinos und ist vor allem für seine authentische Darstellung seiner Figuren bekannt. Mit Komödien wie «Sommer vorm Balkon» oder Dramen wie «Halt auf freier Strecke» hat er bewiesen, dass es ihm wie keinem anderen gelingt, die Tiefen der menschlichen Seele zu erkunden und zugleich die Schönheit als auch die Tragik des Lebens einzufangen.

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Für sein Schaffen wurde er mehrfach ausgezeichnet. Für «Gundermann» erhielt er u. a. sechs deutsche Filmpreise, und «Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush» gewann auf der Berlinale 2022 zwei Silberne Bären. Doch Dresen scheut sich auch nicht, komplexe und schwierige Themen anzugehen, wie den Widerstand gegen das NS-Regime.

In seinem neuen Drama «In Liebe, Eure Hilde» erzählt er von der Widerstandskämpferin Hilde Coppi. Coppi war Mitglied der «Roten Kapelle» und wurde 1942 in Berlin verhaftet. Im Gefängnis brachte sie ihren Sohn zur Welt und wurde am 5. August 1943 hingerichtet.

Wir haben im Rahmen der Berlinale mit Dresen über den Film gesprochen und erfahren, warum seine Figuren H&M-Kleidung tragen und warum auch alltägliche Kleinigkeiten politisch sein können.

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1 - Herr Dresen, Sie haben mal gesagt, dass Hilde Coppi für Sie ein Beispiel eines anständigen Menschen ist. Wie haben Sie das gemeint?

Ich finde solche Menschen wie Hilde und auch Hans Coppi sehr wertvoll, weil man bei ihnen merkt, was Mut im Alltag bedeutet. Wann ist der Moment, in dem ich mich einem System anpasse, was mir vielleicht nicht genehm ist, und wann ist der Moment, an dem ich den Mund aufmache und mich dagegen auflehne. Diese Frage muss sich jeder selbst beantworten.

2 - Sie haben für den Film wieder mit der Drehbuchautorin Laila Stieler zusammengearbeitet. Was hat Sie an diesem Projekt gereizt?

Das Projekt sollte ursprünglich mal eine sechsteilige Fernsehserie werden, damals war ich noch gar nicht involviert. Laila Stieler wollte eine Fernsehserie über Frauen im Widerstand schreiben, was ich echt toll gefunden hätte, denn neben Hilde gab es auch andere, sehr starke Frauen in der Roten Kapelle, die sich eingemischt und nicht nur Kaffee gekocht haben. Es ging auch um Selbstermächtigung. Im Übrigen herrschte in der Gruppe auch sehr viel Freizügigkeit und sexuelle Freiheit. Wir deuten das auch ein bisschen an. All das finde ich sehr modern.

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3 - Apropos modern: Im Presseheft zum Film stand, dass Sie für die Kostüme eine Mischung aus Second-Hand-Mode und H&M verwendet haben. Das ist mit Blick auf die Zeit, in der der Film spielt, eher überraschend.

Es gibt ja so etwas wie einen Nazifilm-Kanon in Deutschland, der immer gleich auszusehen hat: sepiafarbene Bilder, dramatische Musik, polierte Stiefel, wehende schwarz-weiss-rote Fahnen. Das wollten wir alles nicht. Wir wollten die Historisierung in Grenzen halten. Obwohl wir nicht historisch ungenau sind, wollten wir nicht das Gefühl vermitteln, dass wir die ganze Zeit in eine weit entfernte Welt schauen, sondern jungen Leuten zuschauen, die auch etwas mit jungen Leuten heute zu tun haben. Von daher gibt es eine Form von Durchmischung in der Ausstattung und insbesondere bei den Kostümen und den Frisuren.

4 - Ihr Film nähert sich Hilde Coppi vor allem auf einer privaten Ebene, ihre politische Motivation steht dabei nicht so sehr im Vordergrund. Warum?

Natürlich gibt es auch eine politische Motivation, denn Hilde stellt ja Fragen. Und wenn sie im Radio die „Heimatpost“ hört, eine Sendung, in der deutsche Kriegsgefangene Lebenszeichen an ihre Angehörigen zu Hause übermitteln, ist das auch eine politische Entscheidung. Den Feindsender abzuhören war damals streng verboten, darauf standen schwere Strafen. Von daher würde ich nicht sagen, dass Hilde unpolitisch war. Aber sie ist jetzt nicht eine der Frauen, die das kommunistische Manifest gelesen hat und dann mit erhobener Faust losmarschiert ist, sondern eher ein Gefühl und einen Instinkt dafür hatte, was richtig und was falsch ist. Das sind die stillen Helden, die manchmal wichtiger sind als die lauten.

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5 - Was gibt es an Material über Hilde und Hans Coppi?

Es gibt jede Menge Material über die Rote Kapelle, da haben ja viele Historiker dazu geforscht, unter anderem auch der Sohn von Hilde und Hans, der quasi sein gesamtes Leben in den Dienst dieser Geschichtsschreibung gestellt hat. In den Archiven ist sehr viel zu finden, natürlich überwiegend die Dokumente der Nazis. Wir hatten viele Gerichtsprotokolle, aber wir hatten, und das war das Schönste, die Briefe von Hilde. Da kann man tief in ihre Seele schauen. Ihren Abschiedsbrief haben wir ja komplett und ungekürzt in den Film genommen, da merkt man an der Tonalität, was für ein feiner, besonderer und berührender Mensch sie ist.

6 - Auf der anderen Seite zeigen sie aber auch die Nazis als fast normale Menschen.

Ja, man kennt Nazis in Filmen meistens als Schreihälse oder prügelnde SA-Horden. Ich glaube aber, dass der Grossteil der damaligen Gesellschaft von den Mitläufern gelebt hat, von den Opportunisten, von denen, die einfach die gegebenen Regeln erfüllen und mitspielen. Das ist das Fundament einer Gesellschaft und auf diesem Fundament wächst die Gewalt der Einzelnen. Oder eine institutionelle Gewalt, die sich in der furchtbaren Hinrichtung von Hilde ausdrückt. So etwas wird durch das Schweigen der breiten Masse möglich gemacht. Ich fand es interessanter, solche Nazis zu schildern, weil ihr Handeln in der Konsequenz nicht weniger schrecklich ist, aber man sich nicht so leicht von ihnen distanziert. Man muss sich selbst fragen: Wo wäre ich gewesen? Wo fängt der kleine alltägliche Opportunismus, die Angepasstheit an? Das muss sich jeder selbst beantworten.

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7 - Der Film beginnt mit der Verhaftung von Hilde. Warum haben Sie sich entschlossen, den Gefängnisaufenthalt in den Fokus zu rücken?

Als ich das Drehbuch zum ersten Mal bekommen habe, war es noch chronologisch erzählt, das waren quasi zwei Hälften. Die erste Hälfte war die Liebesgeschichte inklusive des Widerstandskampfes und die zweite Hälfte war das Gefängnisdrama mit der Geburt des Kindes und dem menschlichen Wachsen und Reifen von Hilde bis hin zur Hinrichtung. Ich fand die Zweiteilung nicht so gut, weil ich das Gefühl hatte, dass das wirklich in zwei unterschiedliche Erzählungen zerfällt, und dass das am Ende unheimlich düster und schwer auszuhalten sein wird. Zwar ist es jetzt noch immer eine Zweiteilung, aber es sind zwei verschiedene zeitliche Ebenen, die ineinander gestrickt sind. Und die Ebene der Liebesgeschichte erzählen wir rückwärts, damit wir dem Schrecken der Hinrichtung quasi den hoffnungsvollen Moment eines Beginns gegenüberstellen können.

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8 - In Ihren letzten Filmen geht es viel um Recht und Unrecht. Hat es damit zu tun, dass sie elf Jahre lang als Laienrichter des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg tätig waren?

Es ist jetzt keineswegs so, dass diese Tätigkeit direkt in meine Filmarbeit reingestrahlt hat. Mich hat immer die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft interessiert. Wie kann ich mich in einem Gemeinwesen individuell verhalten und zwar so, dass ich einem inneren moralischen Kompass folge? Das kann man bei «Gundermann» sehr gut sehen, der sich ja komplett an der Welt, in der er unterwegs ist, reibt und die ihn als Aussenseiter behandelt. Und das ist bei «Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush» ein ganz wichtiges Thema. Wie weit kann sich eine Frau gegen die Mächte dieser Welt auflehnen, um das Unrecht zu bekämpfen? Und bei Hilde ist es jetzt wieder so. Das sind Fragen, die mich grundsätzlich beschäftigen, weil ich sie mir auch stelle. Wie weit kann ich die Welt, in der ich lebe, beeinflussen oder sagen wir es einfacher: ein bisschen besser machen?

9 - Heutzutage sind allerdings viele Menschen politisch resigniert und denken, dass man nichts verändern kann.

Das denken leider tatsächlich viele Leute und die gehen z. B. gleich erstmal nicht zur Wahl, wo es ja eigentlich anfängt, dass man was machen kann. Nicht zur Wahl gehen spielt erfahrungsgemäss immer den Falschen in die Hände. Ich finde Demokratie ist immer nur so gut, wie alle mitmachen.

Weitere Informationen zu «In Liebe, Eure Hilde»

Seit dem 17. Oktober im Kino zu sehen.

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