Kritik6. August 2019 Noëlle Tschudi
«L'Ordre des médecins»: Ein Blick hinter die Fassade der Götter in Weiss
David Roux schildert in «L'Ordre des médecins», wie ein herber Schicksalsschlag einen erfahrenen Arzt beruflich und persönlich ins Schlingern geraten lässt.
Filmkritik von Irene Genhart
Simon arbeitet als Lungenspezialist in einem Akutspital in Paris. Er ist bei den Kollegen beliebt, beruflich versiert und angesehen und im Alltag den Umgang mit Sterbenden und dem Tod gewohnt. Die Erfahrung hat ihn gelehrt dabei emotional auf Distanz zu gehen; herb, ja oft gar makaber sind die Witze und Anekdoten, die sich Ärzte und Pflegende nach besonders stressigen Situationen während den kurzen Verschnaufpausen im Stationszimmer erzählen. Dass Simon kaum Zeit für sich, geschweige denn ein geordnetes Privatleben hat, fällt ihm während Jahren kaum auf.
Er hätte, liess Roux verlauten, diesen Film nicht gedreht, wenn sein Bruder die Einwilligung dazu nicht gegeben hätte.
Doch dann landet eines Tages seine Mutter auf der Notfallstation des Krankenhauses, in dem er arbeitet. Die Schwester und der Vater, die sie begleiten, sind hilflos, überfordert, verängstigt. Simon schaut zwischen seinen Einsätzen kurz vorbei und versucht herauszufinden, was mit der Mutter ist. Die Diagnose ist nicht rosig. Simon arbeitet weiter. Beruhigt Schwester und Vater. Redet mit den zuständigen Kollegen und Kolleginnen. Lässt hinter deren Rücken weitere Untersuchungen machen und beginnt im Versuch das Leben seiner Mutter zu retten immer öfters seine Kompetenzen zu überschreiten. Und dann fällt seine Mutter eine Entscheidung, die Simon in eine tiefe Krise stürzt.
Obwohl fiktiv, bewegt sich «L’Ordre des médecins» nah an der Grenze zur Wirklichkeit.
Der bisher vor allem als Theaterkritiker bekannte David Roux stellt mit «L’Ordre des médecins» seine erste lange Regiearbeit vor. Er stammt aus einer Ärztefamilie und verarbeitet darin nach eigenen Angaben fiktionalisiert den Tod seiner Mutter, bzw. die Situation, in welche deren Sterben seinen Bruder, der Arzt ist, geraten liess; er hätte, liess Roux verlauten, diesen Film nicht gedreht, wenn sein Bruder die Einwilligung dazu nicht gegeben hätte.
Obwohl fiktiv, bewegt sich «L’Ordre des médecins» nah an der Grenze zur Wirklichkeit. Er spielt zu grossen Teilen im Krankenhaus, bzw. in dessen den Patienten nicht zugänglichen (Zwischen-)Räumen und Korridoren. Auch sind die Ärzte auffällig keine Götter in Weiss, sondern hart arbeitende Menschen, die, wie die Pflegenden, immer mal wieder an ihre Grenzen gelangen.
Obwohl es Roux nicht alle Klischees zu vermeiden gelingt, und es der Story gut getan hätte, wenn für die emotionale Entwicklung Simons mehr Zeit anberaumt worden wäre, ist «L’Ordre de médecins» durchaus beeindruckend. Was nicht zuletzt das Verdienst von Marthe Keller und Jérémie Renier ist, die in den Rollen von sterbend zu sich findender Mutter und dadurch aus der Bahn geworfenem Sohn durchaus überzeugen.
3.5 von 5 ★
«L’ordre des médecins» ist ab dem 8. August in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.
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