Kritik30. April 2020 Irina Blum
Netflix-Serienkritik «Noch nie in meinem Leben...»: Teenie-Trouble mit Tiefgang
Nach dem grossen Erfolg von Produktionen wie «Sex Education» oder «How to sell Drugs online fast» schmeisst Netflix eine weitere Teenie-Serie auf den Markt: «Noch nie in meinem Leben...» (im Original: «Never Have I Ever») vermischt gekonnt die süssen Sorgen einer Pubertierenden mit schwerwiegenden Themen wie Trauma-Bewältigung oder kultureller Identität – und das erst noch ziemlich witzig.
Dreh- und Angelpunkt der amerikanischen Serie aus der Feder von Lang Fisher und Mindy Kaling ist die Teenagerin Devi (Maitreyi Ramakrishnan). Die Jugendliche mit indischen Wurzeln hat vor Kurzem ihren Vater verloren – Herzinfarkt während einer Schulaufführung – und landete als Folge einer temporären Lähmung ihrer Beine für einige Monate im Rollstuhl.
Wie durch ein Wunder wurde die Musterschülerin aber auf dem Parkplatz vor der Mall beim Anblick ihres Schwarms Paxton geheilt. Nun soll alles besser werden: Statt Trauerverarbeitung steht Teenie-Kram auf dem Programm. Heisst: Cool werden ist das Ziel – und zwar nicht nur für Devi, sondern auch für ihre zwei nicht minder weniger speziellen Freundinnen Fabiola (Lee Rodriguez) und Eleanor (Ramona Young)
Zu ihrem Masterplan gehört auch, sich sexuell auszutoben und mit den coolsten Schülern an der hiesigen High School in L.A. anzubandeln – ihr Schwarm Paxton (Darren Barnet) inklusive. Alles andere als begeistert ist darüber Devis fordernde Mutter (Poorna Jagannathan), die ihre Tochter streng nach indischen Erziehungsmethoden zu formen versucht, und mit der sie insbesondere seit dem Tod von Devis Vater vor rund einem halben Jahr ein nicht gerade einfaches Verhältnis hat.
Home-Parties, Schul-Intrigen und erste Erfahrungen mit Sex: Auf den ersten Blick wirkt die Themenwelt in «Noch nie in meinem Leben...» sehr auf eine Zielgruppe zugeschnitten zu sein, die in einer ähnlichen Altersgruppe zu verorten ist wie die Portraitierten selbst. Im Unterschied zu vergleichbaren Formaten deckt die Dramedy-Serie in den 8 rund 30-minütigen Folgen im Sitcom-Stil aber auch Themen ab, die über den Teenie-Trouble hinaus gehen – und entwickelt dabei durchaus Tiefgang.
So zieht sich nicht nur das Thema der sexuellen und persönlichen Selbstfindung einer Teenagerin durch die komplette Serie hindurch; auch Trauma-Überwindung, der Umgang mit Einsamkeit, Trauerbewältigung und kulturelle Identität finden in «Noch nie in meinem Leben...» ihren Platz. Devis Familie hat ihre Wurzeln in Indien, was nicht nur Devis Identität beeinflusst, sondern auch immer wieder für herrlich komische Momente sorgt.
Überhaupt ist die Serie gespickt mit vielen witzigen Szenen, die oft auf Situationskomik, Culture-Clash oder aber popkulturellen Referenzen fussen. Als auktorialer Erzähler fungiert zum Beispiel die Tennislegende John McEnroe, von dem Devis Vater leidenschaftlicher Fan war. Ihre wahrliche Stärke zieht die Serie aus starken Dialogen und einem durchdachten, realitätsnahen Drehbuch: Als Inspiration diente Lang Fisher und der indischstämmigen Schauspielerin und Drehbuchautorin Mindy Kaling unter anderem Kalings eigene Vergangenheit.
Ein Glücksgriff war dann auch die kanadische Hauptdarstellerin Maitreyi Ramakrishnan, welche Devi einen sehr eigenwilligen Stempel aufdrückt – denn die Teenagerin ist als Figur manchmal ganz schön nervig. Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deswegen leidet man mit der jähzornigen jungen Frau mit, die gut und gerne mal auf ihren Spind einprügelt und ihrer Mutter ins Gesicht schreit, dass besser diese anstelle ihres Mannes gestorben wäre. Und weil Devi sympathisch unperfekt daherkommt, nimmt man es der Serie auch keine Minute übel, wenn sie manchmal knapp am Kitsch vorbeischrammt.
4 von 5 ★
«Noch nie in meinem Leben...» ist auf Netflix zu sehen.
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