Kritik5. Oktober 2024

ZFF 2024: «The Remarkable Life of Ibelin»: Eine Welt der Möglichkeiten

ZFF 2024: «The Remarkable Life of Ibelin»: Eine Welt der Möglichkeiten
© ZFF

Der schwer behinderte Mats sitzt den ganzen Tag vor dem Computer und spielt als sein Charakter Ibelin «World of Warcraft» – erst nach seinem Tod erfahren seine Eltern, dass er dort ein Leben in Gemeinschaft und Freundschaft führte, von dem sie keine Ahnung hatten. «The Remarkable Life of Ibelin» erzählt auf mitreissende und emotionale Weise von diesem einzigartigen Leben.

«The Remarkable Life of Ibelin»: Eine Welt der Möglichkeiten

Benjamin Ree | 104 min.

Der Norweger Mats Steen kommt mit der degenerativen Muskelerkrankung Duchenne zur Welt, die ihn nach und nach seiner körperlichen Fähigkeiten beraubt und ihn schliesslich in den Rollstuhl zwingt. Mit gerade einmal 25 Jahren stirbt Mats – seine Familie ist verzweifelt, vor allem, weil sie glauben, dass ihm aufgrund der Krankheit Liebe, Freundschaft und Gemeinschaft versagt blieben. Doch dann melden sich zahlreiche Menschen bei ihnen, die Mats getroffen und liebgewonnen haben: in der virtuellen Welt des Computerspiels «World of Warcraft».

Der norwegische Filmemacher Benjamin Ree, der bereits mit seinen Filmen «Magnus» und «The Painter and the Thief» Bekanntheit in der Welt des Dokumentarfilms erlangte, erfuhr durch einen Zeitungsartikel von Mats’ Geschichte. Er erfragte bei Mats’ Familie Videos und Filme für eine mögliche Verfilmung und war erstaunt, sich selbst und seine Eltern in den Aufnahmen wiederzuerkennen. Benjamins und Mats’ Eltern gehörten Ende der 80er zum selben Freundeskreis, die beiden Jungen kamen nur sieben Tage nacheinander auf die Welt. Eine persönliche Verbindung, die in «The Remarkable Life of Ibelin» deutlich spürbar ist.

Geschickt baut Benjamin Ree die Geschichte auf und lässt sie das Publikum so erleben wie Mats’ Familie sie nach seinem Tod entdeckt hat. Gemeinsam mit seinen Eltern beschreitet das Publikum den Weg seines Lebens, trifft unerwartet auf die zahlreichen Menschen, deren Leben er verändert hat und enthüllt seine Geheimnisse, die er bis zum Schluss mit fast niemandem teilte.

Dabei arbeitet der Film einerseits mit klassischen Mitteln des Dokumentarfilms wie Videoaufnahmen der Familie und Interviews mit Wegbegleiter:innen, die ihre emotionale Wirkung nicht verfehlen. Hinzu kommen andererseits animierte Passagen, die das Leben von Mats in der virtuellen Welt von «World of Warcraft» erlebbar machen. In der Grafik des Spiels nachgestellt, erzählen sie von Freundschaften, einer ersten Liebe und dem Bestehen von Abenteuern, die ihm im echten Leben verwehrt blieben. Dieses Stilmittel ermöglicht ein echtes Abtauchen in die Welt des Gamers und zeigt die Welt, die er sich online erschaffen hat.

Es ist bewegend zu erleben, wie Mats anderen Spieler:innen Ratschläge gibt, ihnen zu helfen versucht und so am Leben anderer teil hat – besonders, wenn diese in der echten Welt ebenfalls zu Wort kommen. Anders als bei anderen Darstellungen des geschmähten Images von Computerspielen wird hier von echten menschlichen Verbindungen erzählt, die nicht nur einem beeinträchtigten Jungen eine Welt eröffnet, in der er laufen, springen und sich bewegen kann, sondern auch anderen Menschen, die mit Problemen wie Autismus, Depressionen oder Einsamkeit kämpfen, einen Ort der Möglichkeiten und Gemeinschaft eröffnet. Ein bewegender Film, der noch lange nachwirkt.

4.5 von 5 ★

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