Review28. Januar 2020 Irina Blum
Netflix-Kritik «Ragnarök»: In der Mystery-Serie trifft Klimawandel auf nordische Göttermythologie
Mystery-Stoffe mit Coming-of-Age-Anstrich und Superheldengeschichten scheinen bei den Netflix-Entscheidern beliebt zu sein. Das belegen etwa die Eigenproduktionen «Chilling Adventures of Sabrina» und «The Umbrella Academy». Mit «Ragnarök» präsentiert der Streaming-Riese nun eine sechs Folgen umspannende Saga, die nordische Göttermythologie mit dem Problem des Klimawandels verbindet.
Kritik von Christopher Diekhaus
Unheilvolle Dinge brauen sich zusammen. Davon ist die jugendliche Umweltaktivistin Isolde (Ylva Bjørkaas Thedin) überzeugt, die schon seit längerem merkwürdige Beobachtungen rund um die fiktive norwegische Kleinstadt Edda gemacht hat. Im Winter wird es zum Teil unnatürlich warm. Gletscher schmelzen ab. Fische verenden. Und doch behauptet der ortsansässige Industriemagnat Vidar Jutul (Gísli Örn Garðarsson), dass die Wasserproben stets positiv gewesen seien. Isoldes auch über YouTube verbreitete Warnungen stossen in der Bevölkerung auf wenig Resonanz.
Interesse für die Aussenseiterin bringt allerdings Neuankömmling Magne (David Stakston) auf, der mit seiner Mutter Turid (Henriette Steenstrup) und seinem Bruder Laurits (Jonas Strand Gravli) in seine frühere Heimat Edda zurückehrt. Als Legastheniker mit autistischen Zügen hat auch er es in der Schule nicht leicht und freut sich daher umso mehr, dass er sehr schnell ein Band zu Isolde knüpfen kann.
Die Serie weckt Hoffnungen auf eine originelle Coming-of-Age-Erzählung vor spektakulärer Fjordlandschaft.
Kopfzerbrechen bereiten dem jungen Mann hingegen seltsame Veränderungen, die er seit der Ankunft an sich bemerkt. Seine Sehschwäche lässt unerwartet nach. Und urplötzlich ist er mit einer ungewöhnlichen Körperkraft gesegnet. Wie sich sehr bald zeigt, rüstet sich in Edda eine uralte, böse Macht für den Kampf.
Schon der Titel schlägt einen schicksalhaften Tonfall an. Ragnarök steht, so erklärt es ein Info-Text zu Beginn, in der nordischen Mythologie für den Untergang der Welt, der in der Schlacht zwischen Göttern und Riesen gipfelt. Eine grosse Auseinandersetzung wirft offenkundig ihre Schatten voraus und ist untrennbar mit dem schweigsamen Magne verbunden, den die Macher optisch vielleicht ein wenig zu deutlich auf Sonderling trimmen.
Die Auftaktfolge steckt den kleinstädtischen Kosmos prägnant ab, setzt einige reizvolle Mystery-Akzente und weckt mit der Verknüpfung von alten Sagen und Klimawandel Hoffnungen auf eine originelle Coming-of-Age-Erzählung vor spektakulärer Fjordlandschaft.
Wenn am Ende der ersten Episode ein überraschender Todesfall zu beklagen ist, möchte man den dänischen Serienschöpfer Adam Price («Borgen – Gefährliche Seilschaften») einerseits für seinen Mut beklatschen. Andererseits lässt dieser Schachzug im weiteren Verlauf aber auch ein kleines Vakuum entstehen. Bereits kurz nach der Einführung kristallisieren sich die Fronten deutlicher heraus.
Und manch anfangs etabliertes Geheimnis wird erstaunlich schnell gelüftet. Zwar schafft es «Ragnarök» ein ums andere Mal, die Spannungsschraube anzuziehen. Mitunter dreht sich die Handlung jedoch zu sehr im Kreis, um durchweg in den Bann zu schlagen.
«Ragnarök» besteht zweifelsohne aus ansprechenden Einzelteilen – bei der Kombination dieser hapert es aber.
Magnes Ringen mit seiner Verwandlung und seinen Mitschülern sorgt für emotionale Momente. Einige Konflikte und Nebenfiguren hätten allerdings noch stärker ausgearbeitet werden können. Etwas willkürlich wirkt beispielsweise das Verhalten Grys (Emma Bones), die der Protagonist über ein Projekt näher kennenlernt. Und ein wenig eindimensional bleibt der intrigante Laurits, dem auf der Zielgeraden eine tragendere Rolle zukommen könnte.
«Ragnarök» besteht zweifelsohne aus ansprechenden Einzelteilen, kriegt diese in den ersten vier Episoden, die für die vorliegende Kritik gesichtet wurden, aber nicht immer erfolgreich kombiniert.
3 von 5 ★
Die erste Staffel von «Ragnarök» ist ab dem 31. Januar auf Netflix verfügbar.
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