In Julien Leclercqs Actionthriller «Sentinelle» knöpft sich Olga Kurylenko als traumatisierte Kriegsheimkehrerin den Vergewaltiger ihrer Schwester vor. Was durchaus interessant beginnt, verfällt leider mehr und mehr in plumpe, unkritische Selbstjustizmuster à la «Death Wish».
Filmkritik von Christopher Diekhaus
Fünf Sprachen spricht sie fliessend. Und ihre Ausbildung hat sie als Beste abgeschlossen. Der hochqualifizierten Soldatin und Dolmetscherin Klara (Olga Kurylenko) sollten alle Türen offenstehen. Nach einem Kriegseinsatz in Syrien, der durch eine Fehleinschätzung und eine verheerende Explosion ein jähes Ende findet, leidet die junge Frau jedoch unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und kehrt zu ihrer Mutter Maria (Antonia Malinova) und ihrer Schwester Tania (Marilyn Lima) nach Nizza zurück. Dort muss sie fortan im Rahmen der sogenannten Opération Sentinelle, einer Militäraktion zur Terrorabwehr, Streifendienst übernehmen. Nicht gerade Klaras Traumjob.
Dass ihre Verfassung alles andere als stabil ist, wird sehr schnell deutlich. Ihre Beine zittern. Selbst während der Arbeit schluckt sie Tabletten, die sie sich auf inoffiziellem Weg besorgt. Und noch dazu projiziert sie ihre Syrienerfahrungen in den französischen Alltag, sieht Gefahren, die sich bei näherem Betrachten in Luft auflösen.
Der in ausgeblichene Farben getauchte Film nimmt sich Zeit, um das Trauma der Protagonistin greifbar zu machen, das sich auch in Kurylenkos erschöpftem Gesichtsausdruck widerspiegelt. Keine Frage, die aus dem Kampfgebiet abgezogene Soldatin bräuchte dringend eine Auszeit.
Das Drehbuch ist denkbar schlicht gebaut.
Nach einer halben Stunde beginnt die eigentliche Geschichte. Tania schleppt Klara in einen Nachtclub, will ihre Schwester aufmuntern, lässt sie dann aber recht schnell auf der Tanzfläche stehen und amüsiert sich mit anderen Gästen. Am nächsten Tag eilt Klara ins Krankenhaus, da Tania vergewaltigt wurde und mit schweren Verletzungen im Koma liegt. Die Kriegsheimkehrerin ist geschockt und will die Aufklärung des Verbrechens zunächst der Polizei überlassen. Als sie von der ermittelnden Beamtin (Carole Weyers) allerdings erfährt, dass der mutmaßliche Täter, der russische Oligarchensohn Yvan Kadnikov (Andrey Gorlenko), dank eines Diplomatenpasses schwierig zu belangen ist, fühlt sich Klara zum Handeln gedrängt.
Mit seiner knackigen, 80-minütigen Laufzeit lässt der Thriller keine Längen aufkommen.
Das Drehbuch ist sicher denkbar schlicht gebaut. Erfreulich ist jedoch, dass Regisseur Leclerq und Co-Autor Matthieu Serveau ihrer gebrochenen Heldin etwas Raum zum Zweifeln geben. Untergraben andere Selbstjustizstreifen – etwa das 2018 veröffentlichte Jennifer-Garner-Vehikel «Peppermint» – durch einen arg abrupten Wandel der anfangs unbescholtenen Hauptfigur schon früh ihre Glaubwürdigkeit, zeigt der französische Actionthriller, zumindest eine Weile, Interesse für Klaras Zerrissenheit. Wenn sie schliesslich in den Rachemodus schaltet und dabei in den Prügelszenen ordentlich austeilt, wirkt das wegen ihres beruflichen Hintergrundes plausibler als in vielen anderen Genrevertretern.
Je weiter die überraschungsarme, nur selten wirklich spannende Handlung voranschreitet, umso stärker nähert sich «Sentinelle» dann aber den üblichen filmischen Selbstjustizformeln an. Der schmierige Klischeebösewicht brüstet sich unumwunden mit seiner Tat. Klaras Trauma spielt plötzlich keine Rolle mehr, hat rückblickend nur Alibicharakter. Ihr Vorgehen wird nie ernsthaft hinterfragt. Und rund um das schwache Finale treten einige Plotlöcher zu Tage.
Mit seiner knackigen, 80-minütigen Laufzeit lässt der Thriller keine Längen aufkommen. Wer weibliche Vergeltungsschläge mit etwas mehr Substanz bevorzugt, sollte allerdings lieber auf Sarah Daggar-Nicksons Regiedebüt «A Vigilante – Bis zum letzten Atemzug» zurückgreifen, in dem Olivia Wilde eine ambivalente Rächerin verkörpert.
2.5 von 5 ★
«Sentinelle» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.
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