Review17. April 2018 Irina Blum
Netflix-Tipp «The Alienist – Die Einkreisung»: Der düstere Schmelztiegel New York
Anfang 2018 brachte der US-Sender TNT die zehnteilige historische Krimiserie «The Alienist – Die Einkreisung» ins Fernsehen, die auf dem gleichnamigen Roman von Caleb Carr basiert. Die internationalen Rechte an der grausigen Morderzählung sicherte sich Streaming-Riese Netflix – ab sofort ist die Serie auch bei uns verfügbar.
Filmkritik von Christopher Diekhaus
New York im Jahre 1896: Als man die grausam zugerichtete Leiche eines Jungen findet, der sich in Frauenkleidern prostituierte, wird der umstrittene Psychologe Dr. Laszlo Kreizler (Daniel Brühl) umgehend hellhörig. Die Tat erinnert an ein früheres Verbrechen und deutet auf einen triebgesteuerten Mörder hin, der schon bald erneut zuschlagen könnte. Während der frischgebackene Polizeichef Theodore Roosevelt (Brian Geraghty) gegen Widerstände in der eigenen Behörde und Vertuschungsversuche ankämpfen muss, erlaubt er dem Seelenarzt, geheime, inoffizielle Nachforschungen durchzuführen.
Gemeinsam mit dem Zeitungsillustrator John Moore (Luke Evans), Roosevelts Sekretärin Sara Howard (einprägsam: Dakota Fanning) und den Brüdern Isaacson (Douglas Smith, Matthew Shear), zwei auf dem Gebiet der Forensik bewanderten Ermittlern, macht sich Dr. Kreizler daran, die Beweggründe des Killers zu begreifen und ihn aufzuspüren.
Wie man es aus unzähligen Kriminalgeschichten kennt, steht auch in «The Alienist» – der amerikanische Titel ist ein altmodischer Begriff für einen Psychologen – ein eigenwilliger, manchmal arg rücksichtsloser Experte im Zentrum des Geschehens. Der von Daniel Brühl mit angemessener Verbissenheit gespielte Kreizler ist der festen Überzeugung, dass man jedes noch so grausige Verbrechen auf ein erlittenes Trauma zurückführen könne und eckt mit seinem unumstösslichen Vertrauen in die noch junge Seelenkunde allerorten an. Dass er selbst unbewältigte Enttäuschungen mit sich herumschleppt, bleibt dem Zuschauer schon in den ersten Episoden nicht verborgen.
Die detailverliebte Ausstattung und die düster-stimmungsvollen Impressionen des Schmelztiegels am Hudson River haben durchaus Kinoqualität.
Da sich die Handlung aus bestens vertrauten Versatzstücken zusammensetzt – «Das Schweigen der Lämmer» lässt mehrfach grüssen – und gerade zu Beginn keine sonderlich raffinierten Wendungen zu bieten hat, benötigt die Romanadaption einige Zeit, um echte Sogwirkung zu entfalten. Mit Folge vier, deren Auftakt bereits enorm verunsichert, ziehen die Macher die Spannungsschraube schliesslich stärker an und zeigen immer deutlicher, dass es ihnen auch darum geht, ein lebendiges Sittenbild New Yorks an die Wand zu malen. Das Erwartungskorsett, in das die damalige Gesellschaft junge Frauen zwängte, gerät ebenso in den Blick wie das beschwerliche, von schrecklicher Armut geprägte Dasein vieler Einwanderer und die unheilvollen Verstrickungen auf höchster Ebene.
«The Alienist – Die Einkreisung» mag – zumindest in den vorab bereitgestellten Episoden eins bis fünf – erzählerisch wenig innovativ sein und bei den Figuren so manches Klischee bedienen, setzt aber ein kurzweiliges Katz-und-Maus-Spiel in Gang und bietet zudem einiges fürs Auge. Die detailverliebte Ausstattung und die düster-stimmungsvollen Impressionen des multikulturellen Schmelztiegels am Hudson River haben durchaus Kinoqualität.
3 von 5 ★
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