Article8. Februar 2022 Cineman Redaktion
Sundance Film Festival: Neues vom gehobenen Autorenfilm
Regisseur und Schauspieler Robert Redford hat das Sundance Filmfestival aufgebaut, das 1978 zum ersten Mal, damals noch in einem viel kleineren Rahmen stattfand. Der Austragungsort ist Park City, ein kleiner Skiort in Utah, dem «Bundesstaat der Mormonen». Mitten in der Wintersaison spazieren jährlich US-amerikanische und internationale Filmemacher die Hauptstrasse, aus der Park City (vergleichbar in Erreichbarkeit, Grösse und Atmosphäre mit Zermatt) im Wesentlichen besteht, und umgeben sich mit dem Nimbus eines der prestigeträchtigsten Filmfestivals weltweit.
Artikel von Teresa Vena
Das Programm widmet sich unabhängigen Filmproduktionen, oft mit beschränktem Budget und Autorenfilmen, die sich nicht scheuen, auch Mittel des Genrefachs zu nutzen. Das bedeutet beispielsweise, dass sozialkritische Stoffe mit Thriller- oder Horrorelementen kombiniert werden oder auch Humor nicht per se aus dem künstlerischen Fach verbannt wird. Eine gewisse Vorliebe weist das Festivals zudem für Coming-of-age-Geschichten aller Art auf. Vom 20. bis 30. Januar 2022 wanderte nun bereits die zweite aufeinanderfolgende Ausgabe online.
1. «Utama» – Gewinner Bester Internationaler Spielfilm
In atemberaubenden Landschaftsbildern erzählt der Film von der unerschütterlichen Liebe eines älteren Ehepaars füreinander und für ihre Heimat, die ihnen viel abverlangt. Ohne moralisierend zu wirken trifft, das Drama den richtigen Tonfall, um uns vor Augen zu führen, dass für einige der Klimawandel bereits längst lebensbedrohliche Ausmasse angenommen hat. Ruhig und geduldig inszeniert der bolivianische Regisseur Alejando Loayza Grisi den asketischen Alltag Vertreter der Quecha, der Ureinwohner Boliviens.
Er verzichtet darauf, diesen zu romantisieren, zeigt vielmehr die Verzweiflung und Enttäuschung, die in den Gesichtern seiner Protagonisten, die er sehr nahe ins Bild rückt, zu lesen ist. Der Film ermöglicht ihnen, bis zuletzt ihre Würde zu bewahren, ohne auch die Motive des Enkels, der die jüngere Generation und die repräsentiert, die sich für ein weniger traditionelles Leben in der Stadt entschieden haben, begreiflich zu machen.
2. «Nanny» – Gewinner Bester US-amerikanischer Spielfilm
Nikyatu Jusu vermischt hier Sozialkritik mit fantastischen und Thrillerelementen. Die Entschlossenheit und Integrität ihrer Protagonistin, einer jungen Senegalesin, die in die USA ausgewandert ist, um als Kindermädchen bei wohlhabenden Leuten genug zu verdienen, um ihren eigenen Sohn nachkommen zu lassen, spiegelt sich von Anfang an in den schnellen Schnitten und kräftigen Farben wider.
Der Regisseurin gelingt es, das unsichtbare Mutter-Kind-Band geschickt durch das Einsetzen von bedrohlichen Schatten und Geräuschen spürbar zu machen. Der Film ist dicht inszeniert, vermeidet nicht ganz alle Klischees, wenn beispielsweise schon bald die intakte Fassade der weissen Familie bröckelt, doch wirkt die Motivation der Figuren glaubwürdig und hat einen allgemeingültigen, universellen Charakter. Der Schluss kommt dann vielleicht etwas dramatisch und zu abrupt daher, aber bis dahin überzeugt die sorgfältig erarbeitete Form des Dramas.
3. «Honk for Jesus. Save Your Soul.» – Gewinner des Prix du Public
Adamma Ebo hat ihren Kurzfilm mit dem gleichen Titel von 2018 zu einem Langfilm verarbeitet. Es sieht so aus, als hätte sie mit ihrem Stoff beim Kurzfilmformat bleiben sollen. Denn ihre Kirchensatire hat zwar einige zündende Ideen, doch haben sich auch viele Längen eingeschlichen, die durch eine Straffung hätten vermieden werden können.
Die Form der Doku-Fiktion ermöglicht es, immer wieder vermeintliche Fiktionsbrüche einzubauen, wenn der Pastor und seine «First Lady» ihre mühsam aufrechterhaltene Fassade fallen lassen. Der Skandal, weswegen die erste Kirche des Paares geschlossen werden musste, wird nur angedeutet, das gilt auch für die persönlichen Spannungen zwischen den Eheleuten. In diesem Punkt beweist der Film Mut zur Lücke. Es sind schliesslich die Darsteller und allen voran Regina Hall, die den Film sehenswert machen.
4. «When You Finish Saving the World»
Jesse Eisenbergs Regiedebüt erzählt trocken und unpathetisch eine anrührende Geschichte über zwei Menschen, Mutter und Sohn, die sich nach gegenseitiger Anerkennung sehnen, diese aber, weil sie glauben, zu unterschiedlich zu sein, erst in anderen suchen. Der Zuschauer merkt sofort, dass sich die beiden ähnlicher sind, als sie glauben. Geschickt provoziert der Film ein Gefühl des Fremdschämens, das fast zur physischen Beklemmung heranwächst.
Herausragend gespielt sowohl von Finn Woflhardt als auch von Julianne Moore mokiert sich der Film über jugendlichen Übermut, der die Welt retten soll und gleichzeitig über den Ehrgeiz Erwachsener, der jüngeren Generation ihre Werte aufzuzwingen. Auch äussert sich der Film ein wenig zynisch über all jene Weltverbesserer, deren Engagement sich in ihren lautstarken Slogans erschöpft.
5. «Dual»
Abgedreht fällt einem als Stichwort für diese schwarze Komödie ein. Zum Thema macht sie den Wunsch des Menschen, über den eigenen Tod hinaus in Erinnerung zu bleiben. Es geht hier aber nicht um eine sentimentale Auseinandersetzung mit Trauer oder Tod, sondern um eine bewusst distanzierte praktische Lösungsfindung. Die Protagonistin, die angeblich an einer unbekannten Krankheit zugrunde geht, darf einen Klon erstellen lassen, der nach ihrem Tod offiziellen ihren Platz einnehmen wird. Von Anfang an wehrt sich dieser aber über die einengende Führung Saras und entwickelt eigene Vorstellungen.
Minimalistisch inszeniert und die schauspielerische Leistung von Karen Gillan in einer Doppelrolle im Fokus besticht der Film durch absurden Humor und pointierten Dialogen. Atmosphärisch knüpft der Film an den Vorgängerfilm «The Art of Self-Defense» des gleichen Regisseurs, Riley Stearns, an. So einfach wie Saras Freund fällt es dem Zuschauer nicht, sich für Sara oder für Saras Klon zu entscheiden. Beide sind auf ihre Art ziemlich unsympathisch gezeichnet, was wohl in der Absicht des Autors lag.
6. «Cerdita»
Ganz im Geiste eines Alex de la Iglesia hat die Spanierin Carlota Martínez-Pereda eine sehr genau beobachtete, herausragend eingefangene Horrorsatire geschaffen. Sie nutzt Elemente, die an den «Carrie»-Stoff erinnern, um ebenfalls eine Geschichte über Mobbing, der Emanzipation einer jungen Frau und der einengenden Moralvorstellungen eines ländlichen Umfelds zu erzählen. Herausragend ist «Carmen Machi» in der Rolle der Löwenmutter, die ihre Tochter nach aussen gegen alle beschützt, ihr aber gleichzeitig mit Strenge zusetzt.
Feste Kamera, schnelle Schnitte und eine präzise Bildfindung zeichnen den Film weiter aus. Der Befreiungsschlag der Protagonistin, die sich sonst immer wieder der Lächerlichkeit preisgegeben sieht, sei es durch eine Schluckaufattacke oder das plötzliche Einsetzen der Periode im entscheidenden Moment, ist ein radikaler, ein blutiger.
Die Regisseurin beweist ein ausgeprägtes Gefühl für Erzählrhythmus, eine Sorgfalt für Einzelheiten und den Mut auf Pathos zu gunsten von trockenem Humor zu verzichten.
7. «L'événement»
Audrey Diwans Drama, das letztes Jahr in Venedig mit dem Preis für besten Film ausgezeichnet wurde, ist ein Mahnmal dafür, wie mühsam Frauen ihre Rechte in der Vergangenheit durchgesetzt haben. Angesichts der in vielen Ländern drohenden Vorstellung, Abtreibungen wieder verbieten wollen, trifft dieser Film umso mehr den Geist der Zeit. Die Protagonistin wird in den 1960er-Jahren ungewollt schwanger und durchläuft auf der Suche nach der Möglichkeit, das Kind abzutreiben, eine Odyssee, die sie mit Unverständnis, offener Verachtung oder Gleichgültigkeit konfrontiert. Die Anspannung, unter der sie leidet, macht der Film mit vielen Nahaufnahmen, schnellen Schnitten und einer oft sparsamen Ausleuchtung der Bilder spürbar.
An einzelnen Stellen hätte man zu gunsten einer geschlosseneren und noch eindrücklicheren Aussage straffen können, ansonsten brennt sich vor allem die überzeugende schauspielerische Leistung von Anamaria Vartolomei in der Hauptrolle ein.
8. «892»
Auch wenn es nicht ganz was Neues ist, sowohl in Bezug auf Form als auch Inhalt, inszeniert Abi Damaris Corbin ihr Geiselnahmedrama durchaus ansprechend und spannend. Den Preis für das beste schauspielerische Ensemble haben sich die Darsteller, den sie in «Sundance» erhielten, tatsächlich verdient. Es ist ihre Leistung, die der sonst eher dünnen Geschichte eines in den Fängen der Bürokratie und gesellschaftlichen Gleichgültigkeit verlorenen Mannes, Dynamik und Tiefgang verleiht.
Anhand von verschiedenen Rückblenden erzählt der Film die Hintergrundgeschichte der Hauptfigur, die im übrigen auf eine real existierende Person basiert. Wer den Ausgang der wahren Geschichte nicht kennt, wird durch die Inszenierung geschickt nicht der Hoffnung auf ein versöhnliches Ende beraubt. Die Bemühungen den Mann im Vordergrund vielschichtig zu zeichnen, gelingt glaubwürdig.
9. «Hatching»
Im Wortsinn beschreibt die finnische Regisseurin Hanna Bergholm in ihrem fantastischen Thriller den Horror des Erwachsenwerden. Die Transformation, die das junge Mädchen im Zentrum der Geschichte durchmacht, spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab, bis sie am Schluss als neues Wesen aus dem Prozess hervorgeht, das sowohl Vertrautes als auch Fremdes in sich vereint. Ganz egal wie sehr sich alle dagegen wehren, es ist ein unaufhaltsamer Vorgang.
Den Kontrast zwischen dem vor-pubertierenden lieblichen Mädchen und dem Monster, das sie ebenfalls in sich trägt, inszeniert der Film mit viel Symbolik. In der selbstsüchtigen, flatterhaften Mutter findet man die frustrierte Erwachsene, die ihr Älterwerden mit allen Mitteln versucht, zu unterdrücken und verpasste Träume durch die eigenen Kinder verwirklichen möchte. Die vielen verwendeten Pastellfarben geben der Geschichte etwas Märchenhaftes, stehen aber auch für eine noch intakte Welt, die sich unverkennbar verändern wird.
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