Critique16. November 2020
«A Perfectly Normal Family» Filmkritik: Wir sind alle okay, aber…
Malou Reymann, selber Tochter eines Transsexuellen, erzählt aus der Sicht einer Pubertierenden, wie das Transgender Coming-Out eines Mannes das Leben seiner ganzen Familie auf den Kopf stellt.
Filmkritik von Irene Genhart
Bis anhin meint die elfjährige Emma eine ganz normale Familie zu haben. Sie bewundert ihre ältere Schwester Caroline und fühlt sich von den Eltern geliebt. Sie spielt leidenschaftlich gern Fussball. Ihr Vater Thomas ist selber ein begeisterter Fussballfan und begleitet seine Tochter regelmässig zum Training und allen Spielen. Doch dann treten zwischen den Eltern immer häufiger Spannungen auf. Bei einem Abendessen schliesslich erzählt Thomas den Kindern, dass er sich in seinem Körper als Mann nicht wohl fühlt und fortan als Frau leben möchte. Er zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus und verwandelt sich im Laufe von Wochen und Monaten zu Agnete. Sie ist dabei sehr darauf bedacht, zu ihrer Familie Kontakt zu halten. Doch derweil die Mutter sich mit der neuen Situation allmählich arrangiert, Caroline sich mit Agnete gar besser versteht als zuvor mit Thomas, tut sich Emma schwer. Sie hat Mühe, Thomas als Agnete zu akzeptieren, fühlt sich von ihren Vater verlassen und um ihr Vertrauen betrogen.
Malou Reymann ist selber die Tochter eines transgender Vaters. Sie baut in ihrem Film auf eigenen Erfahrungen auf. Sie nimmt dabei weitgehend die Sicht ihrer elfjährigen Protagonistin ein. Sie erzählt dabei wohltuend unmittelbar. Indem sie Emma nicht in Situationen nicht hineinführt, sondern – wie es Kindern oft widerfährt – diesen unverhofft aussetzt und sie dabei das eine ums andere Mal mit von den Erwachsenen bereits getroffenen Entscheidungen konfrontiert. Dabei machen die Erwachsenen grundsätzlich alles richtig. Sie pflegen ihre familiären Beziehungen weiter, richten den Mädchen in beiden Wohnungen je eigene Zimmer ein und nehmen in schwierigen Phasen die Unterstützung von Fachpersonen in Anspruch. Emma aber rennt gegen ihre Situation an. Sie reagiert bald überempfindlich, bald benimmt sie sich patzig. Ist sie in der einen Szene noch ganz Kind, gibt sie sich in der nächsten als rotzfrech pubertierender Teenager.
Das faszinierende Porträt einer Familie, die in der Überwindung ihrer heteronormativen Vorstellungen in eine neue Zukunft findet.
Reymann hat mit Mikkel Boe Følsgaard einen Schauspieler gefunden, dem die Verwandlung vom Mann zur Frau glaubhaft leicht gelingt und sie stellt mit Kaya Toft Loholt in ihrer ersten grossen Kinorolle eine talentierte junge Schauspielerin vor. «A Perfecty Normal Family», so feinfühlig, wie zwischendurch herzhaft humorvoll erzählt, ist das faszinierende Porträt einer Familie, die in der Überwindung ihrer heteronormativen Vorstellungen in eine neue Zukunft findet.
4 von 5 ★
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