Interview16. März 2024 Cineman Redaktion
Carmen Jaquier und Jan Gassmann über «Les Paradis de Diane»: «Mutterschaft wurde mir immer als etwas Notwendiges, Angeborenes vermittelt»
In Anlehnung an Chantal Akerman und ihre Frauenfiguren entwickeln Carmen Jaquier und Jan Gassmann in «Les Paradis de Diane» eine einzigartige Emanzipationsgeschichte rund um die Mutterschaft. Wir trafen die beiden Filmschaffenden zum Interview in Berlin.
(Interview und Text von Théo Metais; übersetzt aus dem Französischen)
Als Schnittpunkt ihrer Filmkunst erkunden die Genferin Carmen Jaquier («Foudre») und der Zürcher Jan Gassmann («99 Moons») in «Les Paradis de Diane» die Wanderungen einer Frau, die unmittelbar nach der Geburt ihres ersten Kindes die Flucht ergreift und im spanischen Benidorm Zuflucht findet. «Das kam durch die Begegnung mit einer Freundin zustande, die mir gestand, dass sie nach der Geburt ihrer Tochter einen Zusammenbruch erlitten hatte"», erzählt Carmen Jaquier. "Mit ihrer Aussage wurde mir klar, dass Mutterschaft etwas sehr Dunkles und Komplexes ist.» «Sie erzählte uns auch, dass sie nur von Frauen umgeben war», fährt Jan Gassmann fort, «und tatsächlich hat sie mit niemandem darüber gesprochen.»
Heutzutage wird vermehrt darüber gesprochen, doch die Wurzeln des Themas reichen weit zurück. Bereits in den Schriften von Medizinern aus dem antiken Griechenland werden die Symptome der postpartalen Depression beschrieben. Handelt es sich bei dem Film also um eine zeitgenössische Studie? Die Filmemacherin antwortet uns. «Wir wollten uns nicht direkt mit Depressionen oder dem Babyblues befassen. Aber das war der Moment, in dem ich mir gesagt habe: Hier, da ist etwas, worüber man nachdenken kann.» Sie fügt hinzu: «Mutterschaft wurde mir immer als etwas Notwendiges, Angeborenes vermittelt. Ausserdem wird der Mutterinstinkt als selbstverständlich und als etwas äusserst Positives angesehen. Die dunkleren Aspekte wurden mir nie vermittelt.»
Gerade in dieser Differenzierung offenbart sich die Tragweite von Dianes Charakter. Wie Carmen Jaquier es ausdrückt, würde sie sogar einen manchmal vergessenen Teil der Filmgeschichte fortsetzen, der eben jenen Frauenfiguren eine Stimme gab, die sich nicht für die Mutterschaft interessierten. Ein Ansatz, der insbesondere in dem Meisterwerk «Vanda» (1970) der amerikanischen Filmemacherin Barbara Loden zu finden ist. Ein Auslöser für die Filmemacherin und eine erklärte Referenz :
«In «Vanda» lernen wir diese Frau kennen, die sich vor Gericht wiederfindet, weil ihr Exmann sie beschuldigt, sich nicht um ihre Kinder zu kümmern. Sie sagt, aber geben Sie ihm die Kinder. Sie hat kein Interesse an ihnen. Und plötzlich dachte ich mir, aber es gibt doch viele Charaktere, Frauen, die diese Themen bereits vermitteln. Sie werden nur nicht wirklich im öffentlichen Raum diskutiert. Es gibt zwar viele Menschen, die darüber geschrieben haben, aber es sind sehr isolierte Menschen, isolierte Frauen. Ich denke, den Mythos der Mutter in Frage zu stellen, war nicht gut. Weder Männer noch Frauen waren bereit, diesen Mythos in Frage zu stellen.»
Für die Rolle der Diane entdeckte man Komponistin und Musikerin Dorothée de Koon, die, ganz im Sinne ihrer Figur, Neuland betritt und in ihrer ersten grossen Filmrolle zu sehen ist. «Wir haben zwischen der Schweiz und Frankreich ziemlich viele Schauspielerinnen kennengelernt. Schliesslich war es die französische Koproduzentin, die uns eines Tages anrief und sagte, ich habe gestern Abend auf einer Party jemanden kennengelernt», erinnern sich die beiden Filmschaffenden amüsiert. «Sie sagte uns, dass sie eine sonderbare Art hat, sich auszudrücken. Sie spricht sehr frei über ihr Leben, und ihre Beziehung zu ihrer Mutterschaft ist voller Fragen. (...) Für Jan war es sehr schnell klar, dass da etwas mit Dorothée ist. Bei mir war es definitiv so, dass ich, als ich sie gefilmt habe, verstanden habe, wie anziehend sie ist.»
«Sie ist eine wahre Schauspielerin», fährt Jan Gassman fort, «sobald wir mit der Arbeit begannen, verstand sie nicht nur, sondern reagierte auch sehr stark auf das, was wir zu entwickeln versuchten. Sie ist jemand, der sucht, und sie sucht mit dir. Ich hoffe, dass sie ihre Arbeit als Schauspielerin fortsetzen wird.»
Auf dieser Reise begleitet Dorothée de Koon die grossartige Schauspielerin Aurore Clément. Angefangen von ihrer Freundschaft mit Jacques Prévert und Boris Vian über ihre Zusammenarbeit mit Louis Malle und Chantal Akerman, leiht sie nun ihre unnachahmliche Ausstrahlung ihrer Figur Rose, eine Frau, bei der Diane Trost finden wird. «Es war wichtig, sie mit Menschen zu umgeben, die sie nicht verurteilen würden», sagt Carmen Jaquier, «Die Figur der Rose sagt zu ihr: ‹Was geschehen ist, ist geschehen.› Sie schont sie nicht, sie konfrontiert sie, aber sie verurteilt sie nicht. Beim Schreiben hatten wir auch die Idee, so zu arbeiten, als wären sie die gleiche Frau in zwei verschiedenen Altersstufen.»
«Diane ist eine Rolle, die Aurore Clément in den 70er- und 80er-Jahren gespielt hätte", erklärt Jan Gassman. Die Schauspielerin hatte Ende 2022 eine Sammlung von Fotografien (aufgenommen von Peter Wyss in den 70er-Jahren) mit dem Titel «Une femme sans fin s'enfuit» veröffentlicht, die auf eine viel tiefere Verbindung zwischen den beiden Rollen hindeutet. «Ein Film, der wichtig ist und immer wichtig war, ist «Annas Begegnungen» von Chantal Akerman, in dem sie mitspielt. Ihre Figur war für die damalige Zeit extrem subversiv, da sie eine unabhängige Frau vorstellt, die Männer liebt, die Frauen liebt und die durch Europa reist, um ihren Film zu bewerben. Sie erzählte uns, wie es war, den Film einem Publikum vorzustellen, das buhte. Sie ist wirklich eine Persönlichkeit und wir wünschten uns, dass sie kommt und uns ein kleines Stück dieser Filmgeschichte mitbringt.»
Zum Abschluss des Interviews sprachen wir mit den beiden über die zwiespältige Erzählung des Körpers, die den Film prägt. Auf der einen Seite sieht das Publikum einen mütterlichen Körper, der den ihm eigenen Transformationen ausgesetzt ist, und auf der anderen Seite einen Körper, der von der Begierde überwältigt wird. Zwei Konzepte, die sich gegenseitig betrachten und aufeinander reagieren, fast in einer Form der Kontrollübernahme.
«Die Geschichte des Körpers wurde fast unabhängig von der gesamten Psychologie geschrieben», erklärt Carmen Jaquier. «Angesichts der gesamten postpartalen Phase mussten wir uns mit diesem Körper beschäftigen, der allein ist und weiterhin Schmerzen und Flüssigkeit erzeugt. Und gleichzeitig wollten wir auch daran erinnern, dass der Körper, in dem ein Kind gewachsen ist, auch der Ort ist, an dem eine gewisse Sexualität stattfinden kann. Der mütterliche Körper und der sexuelle Körper bilden eine Einheit und können nicht voneinander getrennt werden. Man kann nicht sagen, dass eine Mutter von der Jungfrau Maria abstammt, die keine sexuellen Handlungen vorgenommen hat, um Kinder zu gebären. Wir wollten wirklich mit dieser Reibung arbeiten. Daher die Eröffnung des Films mit einer sexuellen Liebesszene zwischen Diane und ihrem Partner, die sofort in die Geburt übergeht, um eben daran zu erinnern, dass es ein Teil ihres Körpers ist.»
«Les Paradis de Diane» ist ab dem 14. März in der Deutschschweiz und ab dem 20. März in der Romandie im Kino zu sehen.
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