Critique26. März 2021 Cineman Redaktion
Netflix-Kritik «Die Bande aus der Baker Street»: schaler Grusel mit jugendlichen Spürnasen
«Die Bande aus der Baker Street» dreht sich um eine Gruppe mittelloser Teenager, die im viktorianischen London Dr. Watson und dessen Geschäftspartner Sherlock Holmes unter die Arme greifen. Pfiffig-packende Serienkost sieht leider anders aus.
Serienkritik von Christopher Diekhaus
Sogenannte Sperrfristvereinbarungen, Abkommen, die Journalisten verpflichten, vor einem bestimmten Termin nicht über Filme oder Serien zu berichten, können manchmal auf mangelnde Qualität hindeuten. Darauf, dass selbst der Anbieter von seinem Produkt nicht wirklich überzeugt ist und Angst vor schlechter Presse hat. Die neue Netflix-Serie «Die Bande aus der Baker Street» scheint dafür beispielhaft zu sein. Dass Kritiken erst am Veröffentlichungstag selbst erscheinen dürfen, muss jedenfalls nicht verwundern. Obschon der achtteilige Ausflug in das viktorianische London und das hier ethnisch vielfältige Umfeld des Meisterdetektivs Sherlock Holmes kein Komplettdesaster ist, frustriert es, wenn aus einer brauchbaren Prämisse ein unausgegorenes Gebräu entsteht. Das zumindest legen die ersten drei Folgen nahe, auf denen die vorliegende Rezension basiert.
Serienschöpfer Tom Bidwell, der das Ganze in Interviews als sein Traumprojekt bezeichnet, bedient sich einer Idee, die schon in einigen Film- und Fernseharbeiten aufgegriffen wurde, aber dennoch Potenzial besitzt. Ins Zentrum seiner Geschichte stellt er nicht den weltberühmten Privatermittler Holmes und dessen Weggefährten Dr. Watson, sondern eine Gruppe armer Jugendlicher, die die Strassen der britischen Metropole unsicher machen und Hilfe bei Kriminalrecherchen leisten. Diese «Baker Street Irregulars», wie die in manchen Holmes-Roman auftauchenden Handlanger im englischen Sprachraum heissen (daher auch der Originaltitel «The Irregulars»), geraten hier in einen Strudel paranormaler Ereignisse, der die Faszination für den Okkultismus im viktorianischen Zeitalter spiegelt.
Man darf bezweifeln, dass sich «Die Bande aus der Baker Street» im weiteren Verlauf noch gewaltig steigern wird.
Bea (Thaddea Graham), ihre Schwester Jessie (Darci Shaw) und ihre Freunde Billy (Jojo Macari) und Spike (McKell David) führen ein bescheidenes Leben und blicken, da sie mit der Miete für ihren Kellerverschlag im Rückstand sind, einer höchst ungewissen Zukunft entgegen. Im schlimmsten Fall droht eine Rückkehr in das gefürchtete Arbeitshaus. Als Bea unverhofft von einem Mann namens Dr. Watson (Royce Pierreson) verfolgt und angesprochen wird, scheint Licht am Ende des Tunnels auf. Für den Arzt, der mit seinem Geschäftspartner Sherlock Holmes in der Baker Street 221B wohnt, sollen sie und ihre Mitstreiter untersuchen, was es mit einigen unter mysteriösen Umständen entführten Babys auf sich hat. Die Aussicht auf eine Entlohnung lässt alle Vorbehalte schnell verfliegen. Und nur wenig später stellt die Clique erste Nachforschungen an.
Zu dem Quartett gesellt sich auch der vornehme Leopold (Harrison Osterfield), bei dem es sich – das ahnen die anderen anfangs nicht – um den Sohn der Königin handelt. Der Prinz, der unter einer gefährlichen Krankheit leidet, zeigt sich nach einer zufälligen Begegnung tief beeindruckt von der furchtlosen Bea, will der Enge des Palastes entfliehen und betritt eine ihm unbekannte Welt. Sieht man von einem Konfliktpunkt ab, erstaunt es, wie schnell Leopold das Vertrauen der Strassenbande gewinnt und in ihren Kreis aufgenommen wird. Etwas mehr Reibung hätte zu Beginn womöglich nicht geschadet.
Spannung bleibt vor allem deshalb aus, weil die paranormalen Krimirätsel nicht gerade clever und wendungsreich gebaut sind.
Parallel zu den ins Übernatürliche ausgreifenden Fällen, um die sich Bea und ihre Freunde in jeder Episode kümmern, ist von einer finsteren Macht die Rede, die nach London gekommen sei. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die schon in der Auftaktfolge von düsteren Albträumen heimgesuchte Jessie, die übersinnliche Fähigkeiten besitzt, mit denen sie der erwähnten Bedrohung offenbar näherkommen kann. Jessies besondere Stellung und ihre emotionale Verwirrung bieten Raum für ein vielschichtiges, aufwühlendes Charakterporträt. Tatsächlich bohrt die Serie in den ersten drei Kapiteln jedoch nur bis knapp unter die Oberfläche. Ähnliches gilt für die anderen Protagonisten. Bea beispielsweise, die als Kopf und Behüterin der Truppe auftritt, muss in der zweiten Episode etwas tun, was sie für den Moment schwer erschüttert. Große Spuren hinterlässt das Vorgefallene im Anschluss aber erst mal nicht.
Spannung bleibt vor allem deshalb aus, weil die paranormalen Krimirätsel nicht gerade clever und wendungsreich gebaut sind. Viele Erkenntnisse fallen der Baker-Street-Bande regelrecht in den Schoss. Gelegentlich werden richtige Thesen aufgestellt, ohne dass es vorher konkrete Anhaltspunkte gegeben hätte. Und wenn alle Stricke reissen, gibt es ja noch Jessie, die durch Berührung in die Erinnerungen anderer Menschen eintauchen kann.
Das alles wird häufig abgeschmeckt mit konventionellem Gruselgepolter, Anleihen an Horrorklassiker wie Hitchcocks «Die Vögel» und halbherzigen Versuchen, die optischen und inszenatorischen Kniffe der gelungenen BBC-Serie «Sherlock» zu imitieren. Seltsam unklar bleibt zudem, warum einige Szenen mit schnittiger moderner Musik unterlegt sind. Auch wenn am Ende der dritten Folge eine Offenbarung für frischen Wind sorgt und die Rolle des zunächst betont abwesenden Sherlock Holmes interessant sein könnte, darf man bezweifeln, dass sich «Die Bande aus der Baker Street» im weiteren Verlauf noch gewaltig steigern wird.
2 von 5 ★
«Die Bande aus der Baker Street» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.
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