Critique14. März 2020 Irina Blum
Netflix-Tipp «Lost Girls»: Krimi-Drama rund um eine ungelöste Mordserie
Long Island, New York: Nach dem Fund von mehreren Frauenleichen wird eines Tages die junge Shannen Gilbert vermisst. Ohne klare Spuren zum Täter gibt die Polizei bald die Suche auf – nicht so jedoch Shannens Mutter. Mit «Lost Girls» präsentiert Netflix einen packenden Krimi, in dem eine Mutter um Gerechtigkeit für ihre verlorene Tochter kämpft.
Filmkritik von Waldemar Witt
Nachdem 2010 in New York die Leichen von vier Escort-Damen gefunden werden, wächst die Sorge der alleinerziehenden Mutter Mari Gilbert (Amy Ryan) umso mehr. Denn ihre älteste von drei Töchtern, Shannan (Sarah Wisser), ist nicht zum vereinbarten Familientreffen erschienen und auch sonst nicht erreichbar. Als auch vereinzelte Hinweise von der Polizei auf ein Verbrechen hinweisen, wird ihr klar, dass Shannan etwas Schreckliches zugestossen sein muss.
Als sich herausstellt, dass auch Shannen heimlich über die Plattform Craigslist als Prostituierte für anonyme Kunden arbeitete, will die Polizei die Suche schnell aufgeben – nicht so jedoch Shannens Mutter. Mit der Unterstützung ihrer zwei verbliebenen Teenager-Töchter Sherre (Thomasin McKenzie) und Sarra (Oona Laurence) als auch den Müttern der anderen Opfer beginnt für Mari der Kampf um Gerechtigkeit und gegen die Ignoranz der Polizei.
«Lost Girls» präsentiert sich direkt zu Beginn als wahre Geschichte basierend auf der bis heute ungelösten Mordserie des sogenannten Long Island Killers beziehungsweise Craigslist Rippers. Zu gleichen Teilen Drama, Krimi und Mockumentary, besitzt «Lost Girls» diverse Elemente, aus denen der Film sich seinen eigenen Stil kreiert.
Vor allem während seiner ersten Hälfte schafft es der Film dabei durch die ausserordentlich schnell etablierte Haupthandlung, die Aufmerksamkeit des Zuschauers einzufangen und sie primär im Stile eines Krimis im Stil von True Crime voranzutreiben.
Die Abwechslung zwischen dramatischen Momenten und Krimi-artigen Elementen macht «Lost Girls» sehr unterhaltsam.
Vereinzelt bieten jedoch Einblicke in das Familienleben von Hauptfigur Mari und ihren zwei verbliebenen Töchtern den Figuren wohl verdiente Tiefe. Lange Expositionen und Vorstellungen der Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern werden hierbei nicht zu Beginn abgearbeitet, sondern gezielt in den Verlauf der Haupthandlung verwoben.
Gerade diese Abwechslung zwischen dramatischen Momenten, die sich darauf konzentrieren, wie Familie Gilbert mit dem Verlust von Shannen umgeht, und der Krimi-artigen Untersuchung des Falls selbst, macht den grössten Unterhaltungsfaktor von «Lost Girls» aus.
Einen klassischen Krimi oder Thriller dürfen Zuschauer hier jedoch nicht erwarten. Nicht umsonst wird direkt zu Beginn deutlich gemacht, dass es sich um einen «ungelösten wahren Fall» handelt. Ähnlich der Machart von Regisseur David Finchers «Zodiac» ist in «Lost Girls» nämlich eher der Weg das Ziel. Entsprechend ist gerade der stärker werdende Bund zwischen Mutter Mari und ihren zwei verbliebenen Töchtern als auch der Umgang mit dem Verlust ihres Kindes der eigentliche Kern des Films.
Und während sich gerade die zweite Hälfte des Films (für manche Zuschauer wohl etwas plötzlich) sehr schnell ausschliesslich diesen dramatischen Elementen der Geschichte zuwendet, besitzt das äusserst emotionale Ende des Films damit umso grössere Wirkung.
Die Hauptdarstellerinnen stehlen den männlichen Kollegen oft das Rampenlicht.
Gänzlich rund wirkt das Paket von Regisseurin Liz Garbus zugegebener Weise leider nicht. Neben vereinzelten Szenen, die teils etwas langatmig erscheinen können, bietet gerade Gabriel Byrne («Stigmata») als Commissioner Richard Dormer eine ungewohnt ernüchternde und antrieblose Darstellung. Besonders die soliden Hauptdarstellerinnen – so zum Beispiel Amy Ryan («Gone Baby Gone») und Thomasin McKenzie («Jojo Rabbit») – stehlen den männlichen Kollegen in «Lost Girls» oftmals das Rampenlicht.
Teils Drama, teils Krimi, teils Dokumentation – «Lost Girls» sollte gerade Zuschauer, die sich für reale Kriminalfälle interessieren, ansprechen und unterhalten. Entsprechend den Umständen des tatsächlichen Falls um Shannen Gilbert sollte man sich jedoch nicht auf ein Feelgood-Movie einstellen oder eine typische Thriller-Auflösung erwarten.
4 von 5 ★
«Lost Girls» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.
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