Critique4. März 2021

Netflix-Kritik «Moxie. Zeit, zurückzuschlagen»: Es reicht!

Netflix-Kritik «Moxie. Zeit, zurückzuschlagen»: Es reicht!
© Netflix

Nach der Musical-Verfilmung «The Prom», die die Diskriminierung nicht heterosexueller Beziehungen im Highschool-Alltag anprangerte, spricht sich Netflix mit «Moxie. Zeit, zurückzuschlagen» erneut gegen Unterdrückung und Erniedrigung im schulischen Umfeld aus. Dieses Mal im Fokus: Missbräuchliche Strukturen und Ungerechtigkeiten, unter denen junge Frauen zu leiden haben.

Filmkritik von Christopher Diekhaus

Dass ihr Gleichberechtigung ein wichtiges Anliegen ist, demonstrierte die Komikerin, Schauspielerin und Filmemacherin Amy Poehler erst kürzlich bei der Verleihung der Golden Globe Awards. Gemeinsam mit ihrer Ko-Moderatorin Tina Fey ging sie in der Eröffnungsrede auf die vorab kritisierte intransparente Zusammensetzung der Hollywood Foreign Press Association ein. Bemängelt wurde vor allem das Fehlen eines schwarzen Vertreters in dem für die Preisvergabe zuständigen Gremium. Poehlers Interesse an Missständen schlägt sich auch in ihrer neuen Regiearbeit «Moxie. Zeit, zurückzuschlagen» nieder, die auf dem gleichnamigem Coming-of-Age-Roman der Schriftstellerin Jennifer Mathieu basiert und beschreibt, was sich Teenager in der Schule – leider noch immer – gefallen lassen müssen.

Muss man die Zuschauer wirklich alle paar Minuten daran erinnern, um was es geht?– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

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Dreh- und Angelpunkt der stark feministisch gefärbten Geschichte ist die 16-jährige Vivian (Hadley Robinson), die ebenso wie ihre beste Freundin Claudia (Lauren Tsai) das Rampenlicht meidet. Zum Start der 11. Klasse tauschen die beiden die neuesten Gerüchte aus und warten, wie viele andere, gespannt auf die aktualisierte Liste, in der Schülerinnen nach ihrem Aussehen beurteilt werden und ein, oft herabwürdigendes, Image verpasst bekommen.

Die toxische Atmosphäre an ihrer Highschool und besonders das übergriffige Verhalten von Mitchell Wilson (Patrick Schwarzenegger), dem Kapitän der Football-Mannschaft, gehen Vivians neuer Mitschülerin Lucy (Alycia Pascual-Peña) vom ersten Tag an gegen den Strich. Als sich die junge Frau an Direktorin Shelly (Marcia Gay Harden) wendet, erhält sie eine beschwichtigende Antwort, die vielen Mobbing- und Sexismus-Opfern vertraut sein dürfte. Shelly hat offensichtlich keine Lust, Lucys Sorgen ernst zu nehmen, denn dann müsste sie, wie sie es ausdrückt, «viele Sachen» in die Wege leiten. Missbrauch und Diskriminierung zu bekämpfen, bedeutet harte Arbeit. Arbeit, mit der sie den Ruf ihrer Einrichtung gefährden würde.

Erzählerisch leistet sich die Netflix-Produktion so manchen Klops, den man nur mit Würgen herunterschlucken kann.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Steht Vivian anfangs auf dem Standpunkt, Lucy solle rasch den Kopf einziehen und Mitchell ignorieren, entwickelt sie nur wenig später ein Bewusstsein für die untragbaren Zustände an ihrer Schule. Von Wut ergriffen, bastelt sie in einer Nacht- und Nebelaktion ein feministisches Magazin namens «Moxie» zusammen und legt die ersten Exemplare anonym in der Mädchentoilette aus. Unversehens tritt Vivian damit eine Bewegung los, die den Alltag an ihrer Highschool gehörig durcheinanderwirbelt. Wer hinter den Pamphleten steckt, fragt sich auch ihr Mitschüler Seth (Nico Hiraga), dessen rücksichtsvolle Art und dessen Nähe sie immer mehr zu schätzen lernt.

Filme können gesellschaftliche Debatten und Probleme verdichten und dabei helfen, uns noch mehr für Unsitten wie den Sexismus zu sensibilisieren. Insofern ist es begrüssenswert, dass Netflix mit «Moxie. Zeit, zurückzuschlagen» ein emanzipatorisches Statement setzen und veranschaulichen will, dass Unterdrückung und Belästigung schon mit kleinen Gesten und Äusserungen beginnen. Ein Klaps auf den Po etwa mag scherzhaft und freundschaftlich gemeint sein, ist aber vor allem eins: zudringlich. Nachdenklich stimmt auch, dass manchen Mädchen die Selbstbestimmung über den eigenen Körper entrissen wird. Während Jungen enge, muskelbetonte, viel Haut zeigende Shirts tragen dürfen, muss Kaitlynn (Sabrina Haskett) den Unterricht verlassen, weil sie in ihrem Spaghetti-Top angeblich zu lasziv aussieht.

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Bei aller Freude darüber, dass Vivian und ihre Mitstreiterinnen zahlreiche Repressionsmechanismen aufdecken und attackieren, kann man nicht ausblenden, wie brachial die Macher ihre Agenda zu vermitteln versuchen. Bereits sehr früh hat es den Anschein, als würden Poehler und die Drehbuchautorinnen Tamara Chestna und Dylan Meyer eine Checkliste abarbeiten. Jeder Kritikpunkt wird in den Dialogen derart explizit ausformuliert, dass man sich irgendwann in einem Lehrfilm wähnt. Der fortlaufend erhobene Zeigefinger raubt selbst den schwungvollen Darbietungen des Schauspielensembles einiges an Elan. Muss man die Zuschauer wirklich alle paar Minuten daran erinnern, um was es geht?

Als Ärgernis entpuppt sich daneben der abrupte Wandel der Hauptfigur von der stillen Mitläuferin zur feurigen Revoluzzerin. Der Hinweis auf das Lied «Rebel Girl» und ein Blick in den alten Materialkoffer von Vivians Mutter Lisa (Amy Poehler), die in ihrer Jugendzeit selbst das Patriarchat zu Fall bringen wollte, reichen – so behauptet es der Film – aus, um den Blick der Protagonistin zu schärfen und alles, was für sie bisher normal war, zu hinterfragen. Tatsächlich braucht es jedoch übermässig viel guten Willen, um Vivian den radikalen Umschwung abzukaufen.

Die thematische Relevanz von «Moxie. Zeit, zurückzuschlagen» steht ausser Frage – erzählerisch leistet sich die Netflix-Produktion aber so manchen Klops, den man nur mit Würgen herunterschlucken kann. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die gegen Ende ans Tageslicht kommende Vergewaltigung, die zu einem blossen Plot-Element verkümmert. Wie traumatisch sich ein solches Erlebnis anfühlt, blendet der Film in seinem Eifer, das grosse Finale einzuläuten, einfach aus.

2.5 von 5 ★

«Moxie. Zeit, zurückzuschlagen» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.

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