Critique18. Dezember 2019

Netflix-Kritik «The Two Popes»: Ein faszinierender Machtwechsel im Angesicht der Geschichte

Netflix-Kritik «The Two Popes»: Ein faszinierender Machtwechsel im Angesicht der Geschichte
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Regisseur Fernando Meirelles, der für «City of God» mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, und Drehbuchautor Anthony McCarten legen in «The Two Popes» den Fokus auf einen der wichtigsten Machtwechsel in der katholischen Kirche, die Papst Benedikt XVI. mit seinem strengsten Kritiker, Erzbischof Jorge Mario Bergoglio, zusammengebracht hat.

Im Jahr 2005 musste die Nachfolge von Johannes Paul II. geregelt werden. Während der argentinische Jorge Mario Bergoglio (Jonathan Pryce) viele Stimmen erhielt, wählte der Konklave schliesslich Kardinal Ratzinger: "Habemus papam", der bayerische Benedikt XVI. (Anthony Hopkins) feiert seinen Amtsantritt.

Es dauert sieben Jahre, bis der argentinische Erzbischof Bergoglio, der den Positionen der Kirche diametral entgegengesetzt ist, um Erlaubnis nach seinem Rücktritt bittet. Und 2012 beginnt auch der Papst selbst zu zweifeln: Benedikt XVI. ruft seinen grössten Kritiker hinter die dicken Mauern des Vatikans, um ihn über eine Entscheidung zu informieren, die eine Milliarde Gläubige auf der ganzen Welt erschüttern könnte.

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«The Two Popes» ist weit entfernt von einer berauschenden Feier von Jesus Christ Superstar.– Cineman-Kritiker Theo Metais

Es war eine Reise nach Rom, die den Drehbuchautoren Anthony McCarten («Darkest Hour - Die dunkelste Stunde») dazu inspirierte, «The Two Popes» zu schreiben. Während Papst Franziskus eine Messe auf dem Petersplatz hält, macht der ehemalige Papst Benedikt XVI. in einem wenige Kilometer entfernten Kloster Freudensprünge, und zum ersten Mal seit 500 Jahren sind zwei Pontifizes gleichzeitig am Leben.

Geboren war die Idee eines Spielfilms, und fasziniert von der Beziehung zwischen diesen beiden Männern, stellte sich McCarten die Geschichte ihres Treffens und ihrer Gespräche im Jahr 2012 in Rom vor, als Benedikt XVI. kurz davor stand, das Handtuch zu werfen.

Weit entfernt von einer berauschenden Feier von Jesus Christ Superstar ist «The Two Popes» eine theologische Abhandlung von Themen wie Glauben und Spiritualität. Frei von Missionierung und anderen Heiligsprechungen des christlichen Kultes findet der Film eine gänzlich andere, ebenso anspruchsvolle Nische.

Das in Rom gedrehte Werk des brasilianischen Visionärs Fernando Meirelles ist ein faszinierender theologischer Ausflug in die Tiefen des Glaubens und ein Eintauchen in die geheimen Abläufe eines Konklaves und seiner Rituale, im intimen Rahmen der Gemächer und Gärten des Papstes.

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Anthony Hopkins gibt den Papst mit einer seltenen Selbstverständlichkeit: Seine makellose Gelassenheit, seine Gesten, seine Phrasierung, seine leise Bravour. Jonathan Pryce, der ebenfalls mit einem hochtrabenden Auftritt glänzt, offenbart ein bescheidenes, grosszügiges und subtiles Innenleben.

Die Schauspieler gleichen den wahren Pontifizes extrem und verleihen der Fiktion einen verstörenden Realismus, und der Kameramann César Charlone entblösst gedämpfte Bilder und hält die Kamera im Sinne eines Dokumentarfilms nah dran – wie zum Beispiel in der Anfangssequenz am Telefon. Seine Aufnahmen zeugen von chirurgischer Präzision: So beispielsweise in einer brillanten Szene vor dem Konklave, die er mithilfe von Archivbildern rekonstruiert, oder im gesamten Abschnitt, welcher der umstrittenen Rolle Bergoglios während der Militärdiktatur in Argentinien gewidmet ist.

Der Film offenbart sich dann am meisten, wenn alle schweigen.– Cineman-Kritiker Theo Metais

Indem der Traditionalismus von Papst Benedikt XVI., der sich in Korruptionsfällen verstrickt hat, als Kontrastpunkt zur Moderne seines Nachfolgers dargestellt wird, berücksichtigt «The Two Popes» auch das sogenannte Vatileaks und die Anschuldigungen des Vatikans. Ohne Stellung zu beziehen unterlässt es der Film, die Moralkeule auszupacken.

Abgesehen von manchmal sehr anekdotischen Zeichnungen von Bergoglios sogenannt moderner Auffassung oder der Freundschaft der zwei Päpste, die anhand eines gemeinsamen Biers zum WM-Endspiel gezeigt wird, bietet der Film auch schwindelerregende Dialogzeilen – paradoxerweise offenbart er sich aber dann am meisten, wenn alle schweigen. Eine Szene sticht da besonders hervor: Als der alternde Glaube von Benedikt XVI. in kompletter Stille zusammenbricht: „Ich weiss genau, dass er hier ist, aber er lacht nicht...". Ein Leben der Hingabe, torpediert von Einsamkeit.

4 von 5 ★

«The Two Popes» ist ab dem 20. Dezember auf Netflix zu sehen und wird ab dem 2. Januar 2020 in ausgewählten Deutschschweizer Kinos gezeigt.

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