Interview31. Dezember 2019 Irina Blum
Rupert Goold im Interview zu «Judy»: "Judy Garland ist eine Rock'n'Roll-Legende."
«The Wizard of Oz» hat sie zu Americas Darling gemacht, doch Judy Garlands Leben war alles andere als zauberhaft. Das zeigt auch das Biopic «Judy», das mit Renée Zellweger in der Hauptrolle Garlands letzten Jahre im Rampenlicht beleuchtet. Regisseur Rupert Goold und Produzent David Livingstone über die Industrie hinter «The Wizard of Oz», Judy Garlands Kultstatus und die Faszination an Musik-Biopics.
Das vorliegende Interview entstand anlässlich des 15. Zurich Film Festival.
Können Sie sich an Ihr erstes Mal «The Wizard of Oz» erinnern?
David Livingstone: An das erste Mal, als ich den Film gesehen habe, kann ich mich nicht erinnern – aber an eine Platte von Judy Garland, die bei uns rauf- und runtergelaufen ist, da muss ich etwa 8 Jahre alt gewesen sein: Ein Konzertmitschnitt aus der Carnegie Hall, eines von sechs Alben, die es in unserem Haushalt gab.
Rupert Goold: Mit 4 Jahren sah ich den Film an Weihnachten zum allerersten Mal, und danach hatte ich jahrelang Albträume. Mit 6 oder 7 habe ich ihn dann nochmals geschaut, und realisiert, dass es ein Film ist – die Geschichte existierte zuvor nur als Traum in meinem Kopf.
Um der Einsamkeit zu entkommen, hat Judy Garland jeweils den Filmhund mit ins Hotel genommen.
Und wann haben Sie realisiert, dass sich hinter der Magie auf der Leinwand eine ziemlich perfide Industrie verbirgt?
Rupert Goold: Erst während des Entstehungsprozesses von «Judy». Tom Edge, der das Theaterstück geschrieben hat, auf dem der Film basiert, hatte eine Szene im Stück, in der Mickey Deans vor Judy einen Hamburger isst – eine Sequenz, die auch im Film zu sehen ist. Ausgehend von dieser begann dann die Recherche, was sich hinter den Kulissen von «The Wizard of Oz» 1938 abgespielt haben könnte.
David Livingstone: Wir haben zum Beispiel mit Rosalyn Wilder gesprochen, die im Film von Jessie Buckley gespielt wird. Sie hat uns viele Geschichten zu Judy Garland erzählt und uns an Personen vermittelt, die mit ihr zu tun hatten. Zum Beispiel haben wir eine Kostümbildnerin getroffen, die uns erzählt hat, dass Judy jeweils den Filmhund mit ins Hotel genommen hat, weil sie so einsam war. Diese Details haben Judy Garland für uns zu einer echten Person gemacht, zu mehr als nur einer Geschichte.
«Judy» kritisiert einerseits das System, ist aber auch ein heiss gehandelter Anwärter für die Oscars. Widerspricht sich das nicht?
Rupert Goold: Judy Garland selbst hatte ebenfalls ein zwiegespaltenes Verhältnis zu den Oscars: Für «A Star is Born» sollte sie ziemlich sicher eine Auszeichnung als beste Darstellerin kriegen, das Studio hat die Academy dann aber dazu bewogen, gegen sie zu stimmen aufgrund der Auffassung, dass sie "schwer zu händeln" sei.
Ich glaube, dass Filme in den letzten Jahren anders gemacht werden – nicht, was das Geld angeht, sondern wie die Leute behandelt werden. Wir kritisieren ein System aus der Vergangenheit, das zwar noch nicht ganz Geschichte ist – einige Fortschritte hat es in der Zwischenzeit aber gegeben.
Studioaufnahmen in Filmen haftet häufig etwas synthetisches an.
Im Film sehen wir eine Szene, die im Theaterstück nicht vorkommt: Judy trifft sich mit zwei Fans, die sich als homosexuelles Paar herausstellen. Inwiefern hat der Film diesen Moment gebraucht?
David Livingstone: Diese Szene ist zwar fiktiv, man weiss aber, dass Judy Garland in London viele homosexuelle Fans als Freunde hatte, mit denen sie am Abend etwas unternommen hat: Isolierte Persönlichkeiten wie sie, dank denen sie der Einsamkeit entkommen ist.
Rupert Goold: Aus dramaturgischer Sicht ist sie in diesem Moment weit weg von zu Hause, in einem fremden Land. Ich wollte deshalb eine Parallele zum Moment in «The Wizard of Oz» schaffen, als Dorothy auf Figuren wie den Blechmann trifft: Sie ist an einem Tiefpunkt angelangt, aber diese zum Teil schrägen Charakere geben ihr die Kraft, ihren Weg weiter zu gehen. Wir wollten mit der Szene auch die LGBT-Community ansprechen, die sehr eng mit Judy Garland verbandelt ist.
Renée Zellweger singt im Film live. Wie ist das zu Stande gekommen?
Rupert Goold: Die Idee, die Originalaufnahmen zu benutzen, war immer auf dem Tisch. Schlussendlich gab es aber Probleme mit den Lizenzen, und die Aufnahmen von damals wären qualitativ nicht gut genug um sie heute ins Kino zu bringen.
Wir haben dann mit Renée Zellweger im Studio geprobt. Häufig hören sich Studioaufnahmen in Filmen für mich aber synthetisch an. Ab einem gewissen Punkt habe ich deshalb nicht mehr angestrebt, Judy Garland so perfekt als möglich zu imitieren, sondern ich wollte etwas von der emotionalen Komponente vermitteln, die Judy Garlands Lieder in sich trugen.
Renée hat ihre ganz eigene Vorgeschichte mit Hollywood.
Also muss man sich eine Person zu eigen machen, statt sie zu imitieren?
Rupert Goold: Genau. Viele Schauspieler fühlen sich am wohlsten, wenn sie als ihre Figur geschminkt und gekleidet sind. Dann sieht man mehr von der Figur und weniger von der Persönlichkeit der Darsteller. Viel Arbeit bestand im Vorfeld des Drehs für mich darin, mehr von Renée herauszukitzeln.
Ich habe viel im klassischen Theater gearbeitet. Du gehst nicht ins Theater, weil du Hamlet sehen willst, sondern weil du die Version von Hamlet des anwesenenden Schauspielers sehen willst. Im Theater ist diese Auffassung eher verbreitet: Dass ein Schauspieler auch viel seiner Persönlichkeit einbringt. Bei Renée war diese Kombination äusserst speziell, da sie ihre ganz eigene Vorgeschichte mit Hollywood hat.
Welchen Einfluss von Judy Garlands Werk sehen Sie in der heutigen Popkultur?
Rupert Goold: Zwischen Judy Garland, Janis Joplin und Amy Winehouse sehe ich viel Ähnlichkeit: Diese aussergewöhnlichen Stimmen, das Singen mit ganzem Herzen, aber auch der Missbrauch von gewissen Substanzen und der frühe Tod, den wie Kurt Cobain viele Rock'n'Roll-Legenden ereilt hat.
Wenn man an Judy Garland denkt, sieht man keine Rock'n'Roll-Legende vor sich, sie ist auf gewisse Art aber eine. Sie wurde zur Gay-Ikone, weil sie etwas von der Jungfrau Maria hat, sie ist mit ihrer toleranten Einstellung gegenüber sexueller Identität aber auch ziemlich rebellisch. Gleichzeitig ist sie wie ein Neil Armstrong von Hollywood – sie und Shirley Temple waren von Kindesbeinen an global berühmt, wurden immer beobachtet, und das vor einer Zeit von Instagram und Co.
Sie steht aber auch in dieser Tradition von Dorothy Parker und vielen Comedians, die an Depressionen leiden: Egal wie schlimm es ist, sie war immer lustig. In den tragischsten Momenten ihres Lebens hat sie die witzigsten Interviews gegeben.
«Bohemian Rhapsody», «Rocketman», «Judy»: Wieso sind Musik-Biopics gerade jetzt so beliebt?
David Livingstone: Als ich vor 7 Jahren begonnen habe, an «Judy» zu arbeiten, war niemand daran interessiert. Wirklich niemand. Und «Hitchcock» ist gerade erschienen, der alles andere als erfolgreich war. Mit «The Theory of Everything» über Stephen Hawking schien sich das zu ändern: Plötzlich waren die Leute wieder interessiert an wahren Geschichten über echte Personen. Und Musik damit zu kombinieren bietet sich im Kino natürlich an.
Rupert Goold: Ich glaube, es ist mehr als das: Mit dem immensen Angebot, das durch die ganzen Streaming-Plattformen da ist, stellt sich schnell mal die Frage: "Wieso ins Kino?". Ein 5.1 Sound, bei dem man die Musik fast wie live miterlebt – Konzerte und Festivals boomen zurzeit ja ebenfalls – das ist einzigartig. Man schaut sich Freddie Mercury nicht zu Hause im kleinen Wohnzimmer an.
«Judy» ist ab dem 2. Januar 2020 in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.
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