Article16. Januar 2023 Cineman Redaktion
Anziehend und abstossend zugleich – Serienkiller im Kino
Mit Ali Abbasis dritter Langfilmarbeit «Holy Spider» lief erst kürzlich ein auf wahren Begebenheiten beruhendes Krimidrama an, das eine brutale Mordserie in einer iranischen Pilgerstadt mit der Kritik an frauenfeindlichen gesellschaftlichen Strukturen verbindet. Den Start des Films wollen wir nutzen, um den Blick etwas schweifen zu lassen und Werke über – reale und fiktive – Serienkiller vorzustellen, die einem vielleicht nicht sofort in den Sinn kommen.
Ein Artikel von Christopher Diekhaus
«Augen der Angst» (1960)
Erst verteufelt, heute geschätzt.
Zur Zeit seines Erscheinens wurde der Thriller «Augen der Angst» von vielen Kritikern verrissen. Und nicht nur das: Sowohl Regisseur Michael Powell als auch Hauptdarsteller Karlheinz Böhm, der mit der Darstellung eines Psychopathen seinem Kaiser-Franz-Image aus den «Sissi»-Streifen entfliehen wollte, erlebten anschliessend handfeste Karriereknicks. Heute wird der Film, in dem ein scheuer Kameraassistent junge Frauen mit einem in seinem Stativ eingebauten Messer tötet und dabei ihre Angst festhält, völlig zu Recht als Meisterwerk angesehen.
Böhms eindringliche Performance sticht ins Auge. Noch interessanter ist allerdings die Tatsache, dass sich Powell in seiner abgründigen Geschichte mit der für das Kino grundlegenden Schaulust befasst und dabei auch seine Arbeit als Filmemacher reflektiert. Thematisch hat «Augen der Angst» sicher mehr zu bieten als Alfred Hitchcocks ebenfalls 1960 veröffentlichter Motel-Albtraum «Psycho».
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«Wenn die Gondeln Trauer tragen» (1973)
Tod in Venedig.
Basierend auf Daphne du Mauriers gleichnamiger Kurzgeschichte, entwarf Nicolas Roeg einen zum Klassiker gewordenen Mystery-Thriller rund um ein britisches Ehepaar, das nach dem tragischen Unfalltod seiner Tochter etwas Abstand in Venedig sucht. Zur gleichen Zeit treibt in den Gassen der Lagunenstadt ein Serienkiller sein Unwesen.
Verlust, Trauer, Annäherung, das Ringen von Übernatürlichem und Ratio – der Film ist vollgepackt mit spannenden Themen, reich an Symbolen, fängt den urigen Handlungsort in all seiner labyrinthischen Rätselhaftigkeit ein und zeigt, wie wirkungsvoll eine assoziative Schnitttechnik sein kann. Berühmt ist neben der angeblich realen Liebesszene zwischen Julie Christie und Donald Sutherland im Mittelteil auch das schockierende Ende. Ein blutroter Paukenschlag, bei dem das familiäre Trauma und das mörderische Treiben auf den Strassen Venedigs zusammenfinden.
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«Blutmond» (1986)
Erster Leinwandauftritt des Kannibalen Hannibal.
Einige Jahre bevor Anthony Hopkins als Hannibal Lecter für Furore sorgen konnte, kam bereits der von Michael Mann inszenierte Thriller «Blutmond» in die Kinos. Dieser basiert auf dem Roman «Roter Drache», dem ersten Buch der bislang vier Titel umfassenden Reihe um den kannibalischen Psychiater. Im Mittelpunkt steht hier nicht die junge FBI-Agentin Clarice Starling, sondern der Ex-Profiler Will Graham (William Petersen), der mithilfe des inhaftierten Lecktor (Brian Cox) – der Name wird im Film wirklich so geschrieben – einen sadistischen, ganze Familien auslöschenden Serienmörder (Tom Noonan) aufspüren will.
Lange stand diese Adaption im Schatten von Jonathan Demmes «Das Schweigen der Lämmer». Mittlerweile heben jedoch immer mehr Kenner die besonderen Qualitäten von Manns Arbeit hervor: «Blutmond» besticht mit einer hypnotischen Atmosphäre, starken Leistungen der Darstellenden und dem Versuch, die Gemeinsamkeiten von Ermittelnden und Tätern zu erforschen.
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«Memories of Murder» (2003)
Zwischen spannend und absurd.
Seit dem Siegeszug seiner formidablen Gesellschaftssatire «Parasite» (2019) bei der Oscar-Verleihung 2020 dürfte Bong Joon-ho auch gelegentlichen Kinogängern ein Begriff sein. Clevere, mit viel Umsicht in Szene gesetzte Filme drehte der Regisseur und Drehbuchautor natürlich auch schon vorher. Ein Beispiel: Der Crimethriller «Memories of Murder», in dem ein Polizist (Song Kang-ho) aus Seoul Mitte der 1980er Jahre in die südkoreanische Provinz geschickt wird, wo es zu mehreren Morden gekommen ist.
Der gut konstruierte Plot erzeugt Spannung. Die Schauspieler werfen sich mit Verve in ihre Rollen. Immer wieder wechselt der Ton zwischen abgründig und schräg. Und durch die Verortung während der Militärdiktatur, die eine unabhängige Polizeiarbeit zu unterbinden versucht, bekommt «Memories of Murder» zudem eine aufregende gesellschaftskritische Färbung.
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«Monster» (2003)
Charlize Therons Tour-de-Force-Ritt.
Sie sind selten, aber es gibt sie: Serienkillerinnen. Patty Jenkins beleuchtet in ihrem biografischen Spielfilm «Monster» das Leben der real existierenden, 2002 hingerichteten Prostituierten Aileen Wuornos, die zwischen 1989 und 1990 mehrere Männer, zumeist Freier, tötete. Darüber, ob die Leinwandrekonstruktion das Verhalten der Mörderin zu sehr rechtfertigt, lässt sich vielleicht diskutieren.
Unbestritten ist aber die furiose Performance von Charlize Theron, die in betont unglamouröser Maskerade das schmerzhaft intensive Porträt einer psychisch schwer angeschlagenen Frau entwirft. Verdienter Lohn ihres Tour-de-Force-Rittes: Der Oscar für die beste Hauptdarstellerin und zahlreiche weitere Preise. Erwähnenswert ist ausserdem die Darbietung Christina Riccis, die als semifiktionalisierte Lebensgefährtin der Hauptfigur auftritt.
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«Zodiac» (2007)
Jagd auf ein Phantom.
«Zodiac» – diesen Namen gab sich ein mysteriöser Serienmörder selbst, der zwischen 1968 und 1969 rund um San Francisco für Angst und Schrecken sorgte. Bis heute wurde er nicht identifiziert, obwohl er damals reihenweise bizarre Briefe an die Presse geschickt und so den Weg in die Öffentlichkeit gesucht hatte. Diesen Fall, einen der bekanntesten ungelösten in der US-Kriminalgeschichte, griff «Sieben»-Regisseur David Fincher in einem nach dem Pseudonym des Täters benannten Film auf, der 2007 in die Kinos kam.
Geschildert wird die Jagd nach dem geltungssüchtigen Killer aus der Perspektive zweier Polizisten (Mark Ruffalo und Anthony Edwards) sowie eines Journalisten (Robert Downey Jr.) und eines jungen Zeitungskarikaturisten (Jake Gyllenhaal). Spannung bezieht «Zodiac» gerade aus der mitunter fast dokumentarischen Aufmachung, aus der verzweifelten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen, die auch nach rund zweieinhalb Stunden unentdeckt bleibt. Wer sich damit arrangieren kann, dass am Ende keine Auflösung steht, sollte dieses Meisterwerk, das auch die voyeuristische Lust am Verbrechen thematisiert, nicht verpassen!
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«La isla mínima» (2014)
Im Sumpf des Verbrechens.
Wie gut historische oder soziale Facetten mit einer Serienkillerjagd zusammengehen können, beweist der spanische Polizeithriller «La isla mínima». Zwei grundverschiedene Ermittler (Raúl Arévalo und Javier Gutiérrez) werden darin im Sommer 1980 in das andalusische Marschland des Guadalquivir beordert und sollen die brutalen Morde an zwei jugendlichen Schwestern aufklären. Bei ihrer Spurensuche entdecken sie Hinweise auf weitere Taten.
Der eindrucksvoll fotografierte Film erzeugt von Anfang an eine bedrückende Atmosphäre und arbeitet die für die Handlung nicht unerheblichen Gegensätze der beiden Protagonisten überzeugend heraus. Was besonders erfreulich ist: Das Ganze funktioniert nicht nur als nervenaufreibender Krimi, sondern erweist sich zugleich als pointiertes Bild des gesellschaftlichen Brodelns kurz nach dem Ende der Franco-Diktatur. Spanien ist auf dem Weg zur Demokratie, die Kräfte der Vergangenheit sind allerdings noch nicht verschwunden.
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«Freaky» (2020)
Im Körper des Killers.
Eben noch Teenagerin mit klassischen Sorgen, plötzlich ein Mann mittleren Alters mit zweifelhaftem Ruf: Durch einen magischen Dolch tauschen in Christopher Landons Slasher-Komödie eine von ihren Mitschülern verspottete Jugendliche und ein gesuchter Serienmörder ungewollt die Körper – was zu ebenso turbulenten wie blutigen Verwicklungen führt.
Aus dieser schrägen Prämisse presst der zügig inszenierte, mit allerlei Popkulturverweisen gespickte Film einiges an Situationskomik. Manche Scherze liegen zwar auf der Hand. Hin und wieder werden Horror- und Highschool-Klischees etwas zu sehr umarmt. Dank seiner Energie und manch absurder Idee erreicht der Streifen aber ohne grosse Durchhänger sein Ziel. Unterwegs wird sogar noch – wenn auch eher oberflächlich – auf das Problem der toxischen Männlichkeit hingewiesen.
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«The Batman» (2022)
«Sieben» lässt grüssen.
Düster und grimmig sind bereits die Batman-Filme von Christopher Nolan. Mit seiner durch und durch pessimistisch-eingetrübten Grundstimmung legt Matt Reeves in seiner Neuinterpretation des Fledermausmannes aber noch einmal eine Schippe drauf. «The Batman» ist weniger ein knalliges Superheldenspektakel als vielmehr eine beunruhigende Serienkillermär, in der ein Wahnsinniger (angsteinflössend: Paul Dano) Vertreter der Führungs- und Justizelite Gotham Citys auf grausame Weise meuchelt.
Der Grund für seinen Feldzug: Die allumfassende Korruption. Trotz kleinerer Drehbuchschwächen hat der mit wummernden Klängen unterlegte Film eine gehörige Sogkraft. Auch und vor allem dank Robert Pattinson, der den Titelantihelden als grüblerischen, ausgelaugten, seine eigene Rolle durchaus hinterfragenden Vigilanten anlegt. Bitte mehr davon!
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