Article9. Juli 2024 Maria Engler
«The Last Screenwriter»: Kann eine KI ein gutes Drehbuch schreiben?
Der KI-Hype ist real – jetzt hat ChatGPT das erste Mal ein Drehbuch verfasst, das professionell umgesetzt wurde. Wir haben uns «The Last Screenwriter», der vom Schweizer Regisseur Peter Luisi gedreht wurde, angeschaut und verraten dir alles über die Hintergründe zu diesem Experiment und ob das Ganze einen Blick wert ist.
Ein Experiment und ein Aufschrei
Bereits Mitte Juni sollte «The Last Screenwriter» ursprünglich seine Premiere feiern, doch das Londoner Kino, in dem der Film gezeigt werden sollte, sagte die Vorstellung wenige Tage vorher ab – online liefen zu viele empörte Kinofans Sturm gegen den Film. Denn das Drehbuch stammt von einer KI. Der Schweizer Regisseur Peter Luisi fütterte ChatGPT mit dem Satz: «Schreib einen Plot für einen Film, in dem ein Drehbuchautor feststellt, dass er weniger gut ist als künstliche Intelligenz» und setzte das entstandene Drehbuch im Anschluss mit einem professionellen Filmteam um.
«Der letzte Drehbuchautor» von Peter Luisi wirft einen spannenden Blick auf die Zukunft der Filmwelt, in der KI die menschliche Kreativität bedroht. Nicholas Pople und Bonnie Milnes liefern starke Leistungen in ihren Rollen. Leider bleibt der Film durch seine kurze Länge etwas oberflächlich und die KI-Thematik wird nicht voll ausgeschöpft.
Für Peter Luisi, der übrigens im vergangenen Jahr mit «Bon Schuur Ticino» einen echten Kinohit landete, ist «The Last Screenwriter» also vor allem ein spannendes Experiment, das zum Diskutieren anregen soll. In einem Statement auf der Webseite zum Film schreibt der Filmemacher: «Was wäre, wenn ein Computer plötzlich perfekt imitieren könnte, was wir als Menschen für unersetzlich halten? [...] So absurd es auch klingen mag, dieses computergenerierte Drehbuch ist vielleicht die persönlichste Geschichte, die ich je erzählt habe. Die Hauptfigur Jack hat mehr Ähnlichkeiten mit mir, als mir lieb ist, und sein Dilemma und die Fragen, mit denen er konfrontiert wird, sind Dinge, mit denen ich mich auch als Kreativer beschäftige.»
Jack und die magische KI: Worum geht es in «The Last Screenwriter»?
Die Handlung von «The Last Screenwriter» ist vor allem eines: meta! Das erste Drehbuch, das von einer KI geschrieben wurde, handelt von einer KI, die Drehbücher schreibt – wenn dann auch noch die KI im Film ein Drehbuch vorschlägt, in dem es um KI-geschriebene Drehbücher geht, gibt es fiese Knoten im Gehirn.
Die Geschichte entspinnt sich um den erfolgreichen Drehbuchautoren Jack, der, berieselt vom Ruhm, überheblich und arrogant geworden ist. Ein Produzent und Hauptabnehmer von Jacks Drehbüchern schlägt den Einsatz einer neuen KI-Technologie vor. Nach anfänglichem Zögern findet Jack schnell Gefallen an der Arbeit mit der KI, doch bald schreibt sie bessere Drehbücher als er – er rutscht in eine tiefe Krise.
«The Last Screenwriter» ist ein spannender Thriller mit einer fesselnden Story und guter Besetzung. Die Handlung ist etwas vorhersehbar, aber insgesamt unterhaltsam.
Doch was hat der Drehbuchautor von «The Last Screenwriter» über den Inhalt und die Themen seines Films zu sagen? Auf der Webseite des Films äussert sich ChatGPT folgendermassen: «Im Kern erforscht der Film die Schnittstelle zwischen Technologie und menschlicher Kreativität und stellt die Frage: Können Maschinen die menschliche Erfahrung ersetzen, wenn es um Kunst und Storytelling geht?»
Und dann, überraschend selbstkritisch, oder eben genauso kritisch, wie Menschen gegenüber künstlicher Intelligenz sind – denn schliesslich speist sich das "Wissen" von ChatGPT aus menschengemachten Inhalten – «Das Drehbuch ist eine Meditation über den Wert menschlicher Emotionen und Erfahrungen für das Erzählen von Geschichten, und ich hoffe, dass das Publikum mit einer neuen Wertschätzung für die Kraft der menschlichen Kreativität aus dem Film gehen wird.» Ein bisschen anbiedernd, aber gut.
Wie wurde der Film gemacht?
Doch wie konnte aus so einem einfachen Vorschlag wie «Schreib einen Plot für einen Film, in dem ein Drehbuchautor feststellt, dass er weniger gut ist als künstliche Intelligenz» ein kompletter Film mit verschiedenen Abschnitten, Charakteren und Szenen entstehen? Regisseur Peter Luisi und Produzent David Luisi stellen auf ihrer Webseite jede Menge Hintergrundinformationen bereit.
Das Schreiben des Drehbuchs war ein mehrstufiger Prozess, der mit einer groben Handlung nach der Eingabe des Auftrags begann. Im Anschluss wurde ChatGPT dazu aufgefordert, Charaktere zu entwerfen und die Handlung in Abschnitte zu unterteilen. Für die jeweiligen Abschnitte sollte die KI dann mit den eben entwickelten Charakteren Szenen schreiben.
Ein faszinierender Film, der die Grenzen von KI und menschlicher Kreativität erforscht. Trotz gemischter Kritiken ein mutiger Schritt in die Zukunft des Drehbuchschreibens.
Doch wie viel menschlicher Einfluss steckt in «The Last Screenwriter»? Zumindest was das Drehbuch betrifft: nicht viel. Änderungen am Text oder eine Umstellung der Reihenfolge der Szenen wurden nicht vorgenommen. Den Filmschaffenden blieb lediglich die Aufgabe, eine Auswahl der vorgeschlagenen Szenen zu treffen und Teile zu kürzen. Alle kreativen Entscheidungen ausserhalb des Drehbuchs wurden aber natürlich von einem professionellen Filmteam getroffen. Wer tiefer eintauchen möchte: Auf der Webseite des Films ist der komplette Prozess genau dokumentiert und das vollständige Drehbuch als Download verfügbar.
Das Ergebnis: Ist «The Last Screenwriter» sehenswert?
Die KI-Kolleg:innen, deren Meinungen zum Film in diesem Artikel verstreut sind, sind sich nicht ganz einig. Das Ganze sei ein wenig oberflächlich, habe aber eine spannende Thematik und gute Darsteller:innen. Eine fesselnde und unterhaltsame Story, die allerdings vorhersehbar ist. Chatsonic sieht sogar «einen mutigen Schritt in die Zukunft des Drehbuchschreibens» – und das, obwohl keine der KIs den Film gesehen hat. ChatGPT selbst ist übrigens überzeugt von seiner Arbeit:
«The Last Screenwriter» bietet eine packende Handlung mit tiefen Charakteren und überraschenden Wendungen. Die eindrucksvollen visuellen Effekte und die starke schauspielerische Leistung machen den Film sehenswert.
Anschauen kann man sich «The Last Screenwriter» auf jeden Fall – und sei es nur, um darüber zu diskutieren. Von einer wirklich fesselnden, überraschenden Handlung mit tiefgründigen Charakteren ist der Film jedoch meilenweit entfernt. Beim Auftrag, einen Film über eine KI zu schreiben, die besser schreibt, als ein menschlicher Drehbuchautor, liefert ChatGPT genau das – und sonst nichts. Interessante Nebenhandlungen oder Gespräche über irgendein anderes Thema als Drehbücher und Kreativität sucht man vergeblich. Das macht Szenen wie das abendliche Geschichtenerzählen im Bett zwischen Vater und Sohn eher eigentümlich – und sorgt für flache Charaktere.
Die Dialoge triefen vor abgedroschenen Redewendungen und wirken oft gestelzt – zum Beispiel, wenn hochtrabende philosophische Betrachtungen aus dem Mund eines kleinen Jungen kommen. Ausserdem stilistisch anstrengend: Dass die beiden Eheleute Jack und Sarah heissen, brennt sich besonders ins Hirn, weil die beiden sich in bester Telenovela-Manier bei jedem Satz mit ihrem Namen ansprechen. Gehirnschmelze ahoi! Apropos Gehirnschmelze: Auch vor Wiederholungen darf das Publikum keine Angst haben, denn «The Last Screenwriter» ist unendlich repetitiv – sowohl was die Dialoge als auch den Szenenaufbau angeht. Öde!
Spannend wird es eigentlich immer nur dann, wenn die KI im Film über das Verhältnis von Mensch und Technik spricht und somit der Autor ChatGPT über das eigene Sein reflektiert. Die grosse Angst vor Verdrängung und die existenzielle Frage nach dem Sinn der eigenen Arbeit, wenn eine Maschine sie plötzlich viel besser macht, ist ein spannendes Thema, auch wenn die Auflösung viel zu gewöhnlich ausfällt. Geduldig kaut «The Last Screenwriter» alle Argumente in der Debatte um den Einsatz von KI im künstlerischen Bereich wieder – wer mag, kann sich hier also jede Menge Futter für die nächste Diskussionsrunde holen.
«The Last Screenwriter» ist seit dem 05. Juli kostenlos auf YouTube zu sehen.
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